Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Hüter der Nacht

Titel: Die Hüter der Nacht
Autoren: Jon Land
Vom Netzwerk:
oder ich töte dich!«
    »Niemand! Ich … ich bin allein!«
    »Wer hat meinen Plan durchschaut? Wie viele andere sind dort?«
    »Niemand, glaub mir! Nur …«
    Paul Hessler konnte nicht zu Ende sprechen. Der Fremde stieß den rauchenden Stock vor, und Paul spürte, wie die Glut über seine Haut strich, als er den Kopf zur Seite riss, um dem Stoß zu entgehen. Der Geruch von geröstetem Fleisch stieg ihm in die Nase, während er den Fremden fortschob und die Hände in einer Geste des Friedens hob.
    »Bitte, ich führe nichts Böse im Schilde! Ich werde gehen, wenn du willst.«
    Der Fremde schrie auf und griff wieder an. Paul konnte ihm den Stock aus der Hand reißen, und das rauchende Kaninchen, das noch aufgespießt war, fiel auf den Steinboden. Der Fremde umklammerte Pauls dünnen Hals mit beiden Händen und drückte mit den Daumen zu.
    Doch Paul bekam noch genügend Luft, um dem Gegner das Knie in den Unterleib zu rammen. Die Beine des Fremden gaben nach, doch nach wie vor hielt er Pauls Kehle umklammert, und die beiden stürzten zu Boden, wälzten sich über die Steinplatten. Der Fremde blieb schließlich auf Paul liegen. Seine neuerliche Umklammerung presste Paul wieder die Luft aus der Lunge.
    Paul drosch wild um sich, versuchte, die Umklammerung des Fremden zu sprengen. Er spürte, wie sich Taubheit in ihm ausbreitete, wie er keine Luft mehr bekam, und er hatte das Gefühl, sein Kopf müsste platzen. In Panik schlug er um sich. Seine Hände klatschten auf den Steinboden und trafen das warme, weiche Kaninchen.
    Er packte den Stock, mit dem das Kaninchen immer noch aufgespießt war, stieß ihn nach oben und spürte, wie er sich dem Fremden in den Hals bohrte. Warmes Blut spritzte auf Pauls Gesicht. Doch die Umklammerung lockerte sich nicht, und Paul stieß wieder mit dem Stock zu, bis die Finger des Fremden schlaff wurden und er auf Paul zusammenbrach.
    Paul hatte gerade noch die Kraft, den Körper von sich zu wälzen. Er glaubte, selbst für kurze Zeit ohnmächtig gewesen zu sein, und er erwachte mit dem Gefühl, dass alles ein Albtraum gewesen sein musste … bis er die Blutlache unter sich sah und wieder die klebrige Flüssigkeit auf Gesicht und Hals spürte. Er suchte bei dem jungen Mann ein Anzeichen von Leben, fand jedoch keines.
    Er sprang auf. Plötzlich war ihm übel. Er wusste, dass er sich übergeben hätte, doch er hatte nichts im Magen. Seit zwei Tagen hatte er nichts gegessen. Und betrachtete das noch rauchende Kaninchen auf dem Boden bei der Leiche.
    Paul Hessler bückte sich, hob es auf und schleppte sich zum Feuer, um die Mahlzeit zu Ende zu braten, die  …
    »… mir die Kraft gab, die ich brauchte, um zu überleben«, vollendete Paul Hessler und erhob sich. »Nachdem ich gegessen hatte, tauschte ich meine nasse Kleidung gegen trockene, die ich im Rucksack des Toten fand.«
    Eine Spitzhacke, die von einem der Arbeiter zurückgelassen worden war, stand in der Ecke, und Paul Hessler nahm sie und prüfte ihr Gewicht. Die Spitzhacke wirkte überraschend leicht in seinem Griff, als er zu dem neu gemauerten Kamin ging und zum ersten Schlag ausholte.
    »Am nächsten Tag ging ich von hier fort …«
    Während er sprach, unterstrich Hessler seine Worte mit einer Reihe von schweren Schlägen gegen den Kamin.
    »… und trug die Kleidung des toten Mannes …«
    Rumms.
    »… seinen Proviant, den er mitgebracht hatte …«
    Rumms.
    »… und seine Papiere, die von den amerikanischen Soldaten fünf Tage später in meinen Taschen gefunden wurden.«
    Hessler schlug noch dreimal kräftig zu; dann riss er mit der Spitzhacke Steine und Mörtel weg und verschüttete den Schutt auf den Boden, während seine Zuschauer verwirrt zuschauten.
    »Wegen der Papiere hielten die Soldaten mich für Paul Hessler, einen Überlebenden eines Arbeitslagers nördlich von Lodz. Aber das war ich nicht. Ich glaubte, Paul Hessler in der Burg getötet zu haben, und lebte in all diesen Jahren mit dem Schuldgefühl.«
    Ein letzter kräftiger Schlag, und eine klaffende Lücke entstand im Kamin. Der alte Mann trat zurück und lehnte sich auf den Griff der Spitzhacke, um sein Werk zu betrachten.
    »Und jetzt hat die Geschichte endlich ein Ende.« Schwitzend und außer Atem heftete er den Blick auf Hans Mundt. »Sie sind auf der Suche nach Ihrem Vater hergekommen, Herr Mundt.«
    Mundt setzte sich in Bewegung, wollte sich auf ihn stürzen, wandte sich jedoch dem Kamin zu, als der Mann, der als Paul Hessler gelebt hatte, dort
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher