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Die Hüter der Nacht

Titel: Die Hüter der Nacht
Autoren: Jon Land
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hinschaute.
    Im Kamin war deutlich sichtbar ein Skelett an die Innenmauer der Burg genagelt.
    »Darf ich Ihnen Karl Mundt vorstellen?«, fuhr Hessler fort. »Den Mann, den ich in jener Nacht 1944 in Wirklichkeit getötet habe.«

87.
    Hans Mundt starrte auf das Skelett seines Vaters. Er bekam kaum mit, wie der Mann, der Paul Hessler geworden war, seine Geschichte weitererzählte.
    »Die Papiere, die ich Ihrem Vater abnahm, hatte er bereits von dem echten Paul Hessler gestohlen. Ich bin kein Jude und kein Deutscher. Ich bin Pole. Mein richtiger Name ist nicht Paul Hessler oder Karl Mundt – ich heiße Piotr Dudek. Ich war aus einem anderen Arbeitslager bei Lodz nahe der Ortschaft Minsk entkommen. Ungefähr einen Tag, nachdem Karl Mundt Paul Hessler getötet hatte, stieß ich auf diese Burg und nahm seine Identität an. So dachte ich in all den Jahren, Hessler sei der Mann gewesen, den ich getötet hatte. Bis heute Nacht kannte nur eine Person die Geschichte jener Nacht im Wald.« Paul Hessler, geborener Piotr Dudek, schaute Danielle an. »Ihr Vater, Pakad Barnea. Ich gestand ihm die Wahrheit, als er mich nach dem Scheitern der Nasser-Mission durch den Sinai trug.«
    »Was hat er dazu gesagt?«, hörte Danielle sich fragen.
    »Er sagte mir, dass es keine Rolle spiele. Er sagte, ich hätte überlebt, weil es das Schicksal so gewollt habe, und nur das zähle. Er sagte mir, Piotr Dudek sei tot. Ich habe ihn in dieser Burg gelassen, und dort solle er bleiben.« Ein wenig leiser sprach Hessler weiter. »Ihr Vater sagte mir, ich hätte die Chance, die Gelegenheit, Gutes für mich und mein Land zu tun. Ich glaube, das habe ich. Jedenfalls habe ich es versucht.«
    »Was Ihr Sohn getan hat, war nicht Ihre Schuld … Mr. Hessler«, sagte Danielle. »Es war nicht Ihre Schuld.«
    »Doch, und ich nehme die Schuld auf mich, denn er wollte sich mir beweisen. Ari wollte für sich genau das, was ich für ihn wollte. Er war so sehr von dem Wunsch getrieben, erfolgreich zu sein – der Wunsch, den ich ihm eingeimpft hatte –, dass er sich wahrscheinlich kaum bewusst war, dass er Verbrechen, dass er Morde beging. Projekt vier-sechs-null-eins war seine erste große Leistung. Er konnte niemals zulassen, dass diese Kinder es zerstörten. Niemals.«
    Mundt stand immer noch wie versteinert vor dem aufgeschlagenen Kamin und starrte auf die Gebeine seines Vaters, die der Mann, der als Paul Hessler gelebt hatte, vor 57 Jahren versteckt hatte.
    »Ich habe Ihren Vater getötet, Herr Mundt. Ich, Piotr Dudek, ein armer polnischer Junge, der in einem Arbeitslager der Nazis interniert gewesen war, bis er das Glück hatte, zu entkommen, nachdem man ihn für tot liegen gelassen hatte. Ich habe überlebt, indem ich mich tot stellte und unter anderen Leichen versteckte, die man mit mir in ein Massengrab geworfen hatte. Wenn Sie mich dafür töten wollen …«
    Hans Mundt blieb stumm.
    »Deshalb haben Sie hier die Burg wieder errichten lassen«, sagte Danielle. Sie versuchte, den Mann so zu sehen, wie er sich selbst beschrieben hatte, als Piotr Dudek. Doch für sie blieb er Paul Hessler, Held und Wohltäter des Staates Israel, wie er es für ihren Vater geblieben war. »Um Ihr Geheimnis zu bewahren.«
    Hessler nickte. »In Polen hätte man diese Burg abgerissen. Ich konnte nicht das Risiko eingehen, dass die Gebeine des Mannes gefunden wurden, den ich getötet hatte, besonders nicht bei den heutigen DNA-Analysen. Stellen Sie sich vor, man hätte herausgefunden, dass der echte Paul Hessler vor über einem halben Jahrhundert gestorben ist …«
    »Nur war es nicht Paul Hessler«, erinnerte Hans Mundt. »Es war mein Vater, Karl Mundt, den Sie hinter diesen Mauern begruben.«
    »Aber das wusste ich nicht. Und all die Jahre lebte ich in der ständigen Furcht, als Piotr Dudek entlarvt zu werden, der einen Juden tötete und dessen Identität annahm. Ich hatte Albträume, dass man zu den Bar-Mitzwa oder den Hochzeiten meiner Kinder kommen und mich festnehmen würde.«
    »Stattdessen ist man gekommen, um Ihnen für Ihre Taten einen Orden zu verleihen«, stieß Hans Mundt hervor.
    »Ist das ein Problem für Sie, Herr Mundt?«
    Mundts Miene war ausdruckslos geworden, zeigte keinerlei Gefühl. »Mein Vater verließ meine Mutter. Als er ihr den Abschiedskuss gab, wusste er genau, was er als Nächstes tun würde. Er hatte alles geplant. Blieb nur noch, sein ›Opfer‹ auszuwählen, wenn er erst im Lager war.« Sein Blick glitt wieder zu dem Skelett, das all die
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