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Die Himmelsmalerin

Die Himmelsmalerin

Titel: Die Himmelsmalerin
Autoren: Pia Rosenberger
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Zaghaft schob sie die Zweige eines Holunderstrauchs zur Seite, der mit seinen grünen Dolden nahe an der Tür wuchs, und klopfte.
    Wie lange war sie nicht mehr hier gewesen? Das letzte Mal mit Valentin, als sie noch Kinder waren und frei umherstreifen durften. Renata dagegen hatte sie oft genug in der Stadt besucht, immer wenn Markttag war und sie in der Apotheke nach dem Rechten sah. Im letzten Jahr waren die Besuche jedoch rar geworden.
    Einen Moment später öffnete sich die Tür. »Lena!« Renata stand auf der Schwelle. »Was für eine Überraschung!«
    Sie zog Lena in ihre Arme, die erstaunt feststellte, dass sie ihre Freundin um fast einen halben Kopf überragte.
    »Komm herein! Das wurde aber auch Zeit, dass wir uns mal wiedersehen.«
    Lena folgte ihr in die Stube und sah sich um. In Renatas Wohnraum stand ein gescheuerter Holztisch, darum befanden sich eine grob gezimmerte Eckbank und einige einfache Schemel. In der Herdstelle loderte ein Feuer. Vor den Fensterluken tanzte der Staub im Sonnenlicht, und auf dem Tisch lag ein in Leder gebundenes Buch.
    »Di-o-sku…«, buchstabierte sie mühsam.
    »Dioskurides«, erklärte ihre Freundin. »Er beschreibt über sechshundert Heilpflanzen. Ich habe so ein Glück, dass ich es besitzen darf.«
    Renata wusste nicht nur alles über Heilpflanzen, sie war auch so gebildet, dass sie auf Lateinisch geschriebene Bücher lesen konnte. Lena erinnerte sich, dass sie ursprünglich für ein Leben im Kloster bestimmt gewesen war, ihr Vater sie aber wieder in den Kreis der Familie aufgenommen hatte, als ihre beiden älteren Geschwister gestorben waren.
    »Und wenn man meine ›Physica‹ der heiligen Hildegard von Bingen dazu rechnet, bin ich eine reiche Frau.« In Renatas dunklen Augen glitzerte der Schalk.
    »Was ist denn das?«, fragte Lena und deutete auf drei Tonschalen, in denen eine undefinierbare Mischung vor sich hin gärte. »Das riecht ja ekelhaft.«
    »Das ist Schafskot mit Honig und verschimmeltem Käse. Daraus soll ein Medikament werden, das gegen Entzündungen helfen soll.« Verwundert sah Lena, dass ihre Freundin rot wurde, und beschloss, nicht weiter nachzufragen.
    »Es ist so ruhig hier«, sagte sie stattdessen.
    »Wart’s ab«, sagte Renata düster und deutete mit einem Kopfnicken in die Ecke, wo ihr sechsjähriger Sohn Franz eben noch mit einem Holzpferdchen gespielt hatte. Die Ankunft von Besuch hatte ihn naturgemäß neugierig aufhorchen lassen.
    »Lena!« Franz sprang auf ihren Arm und drückte ihr einen feuchten Kuss auf die Wange.
    Seine Mutter verdrehte zum Spaß die Augen. »So viel zur Ruhe. Einen Moment lang hat man sie, und im nächsten hüpft der Bengel umher wie ein wild gewordenes Eichhörnchen.«
    Lachend setzte sich Lena mit dem quirligen Franz auf dem Schoß auf die Bank.
    Seine Mutter schüttelte den Kopf. »Er muss bald in die Schule, der Quälgeist. Aber wenn ich daran denke, wie der Lausbub die freien Künste lernen soll, graut es mir schon jetzt.«
    »Der Kilian gebraucht die Rute sicher nur in Maßen.«
    »Aber die Dominikaner, ich weiß nicht …«
    Renata goss ihr von dem kühlen Nektar ein, den sie im Frühsommer aus Holunderblüten gewonnen hatte, und Lena teilte sich den Becher mit Franz. Die Stube sah aus wie immer. An der Decke hingen Renatas Kräuterbüschel: Ringelblumen, Kamille, Schafgarbe und andere Sommerkräuter verbreiteten ihren würzigen Duft. Auf dem Tisch stand in einem Tonkrug ein großer Strauß violetter Malven, von denen ein paar Blüten auf das kostbare Buch gefallen waren. Lena schnipste sie zur Seite.
    »Was führt dich zu uns?«, fragte Renata, setzte sich an den Tisch und goss sich auch einen Becher ein.
    Ehrlich währt am längsten, dachte Lena und nahm ihren Mut zusammen. »Ich bin ausgebüxt!«
    »Das glaub ich dir nicht!«. Renata schüttelte ungläubig den Kopf.
    »Doch«, sagte sie.
    »Und warum?« Ihre Freundin sah sie mitfühlend an.
    »Nun ja.« Sie machte eine Pause. »Wir waren alle zusammen bei der Falg im Weinberg. Und mein Bräutigam, der Anstetter, war auch mit dabei. Alle haben wir gerackert und gehackt und geschnitten, wie das eben so ist …«
    Lena verdrehte die Augen zur niedrigen Decke der Stube.
    »… aber er hat den ganzen Vormittag nichts geschafft, nur dummes Zeug geschwatzt und uns den Wein leer getrunken.«
    »An dem werdet ihr noch arm.« Renata schüttelte lachend den Kopf.
    »Und dann wurde er plötzlich so komisch …« Lena suchte nach Worten. »Ständig versucht er, mir nahe
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