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Die Himmelsmalerin

Die Himmelsmalerin

Titel: Die Himmelsmalerin
Autoren: Pia Rosenberger
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konnte. Wenn das die Mönche wüssten! Halb freute sich Lena, halb wurde ihr angst und bange vor der Aufgabe, die sie ganz allein lösen musste. Aber sie war gut, sie würde das schaffen! Und die Tür zur Werkstatt würde während ihrer Arbeit immer geschlossen bleiben, auch wenn sie die große Truhe unter die Klinke schieben musste, in der der Vater seine Entwürfe aufbewahrte. Wie sonst konnte sie ihr Vorhaben vor ihrem zukünftigen Ehemann verbergen? Wenn doch der Anstetter wieder nach Tübingen verschwinden würde! Wenigstens für eine Weile! Entschlossen schob sie den Gedanken an ihren Bräutigam beiseite und stieg weiter bergauf.
    Oben lösten Obstwiesen die Rebhänge ab. Hier war der Feldrain mit Blumen bedeckt, violette und rosa Wicken, lilafarbene Wegwarte und Ringelblumen, die fast die gleiche Farbe hatten wie Lenas Zöpfe, von denen sich einer aufgelöst hatte und ihr in Wellen über den Rücken fiel. Hungrig zupfte sie die ersten Brombeeren von den Sträuchern und steckte sie in den Mund. Sie waren noch sauer, und Lena spuckte sie angewidert auf den Weg wie ein Kind.
    Mit Valentin und Kilian hatte sie sich oft außerhalb der Stadtmauer herumgetrieben. Sie erinnerte sich an den Tag, als sie einen Damm im Hainbach angelegt hatten, viel weiter weg, als ihre Eltern je erlaubt hätten. Auf dem Rückweg hatten sie gar nicht weit von hier gerastet. Müde hatten sie alle drei am Feldrain gelegen und Löcher in den Himmel gestarrt.
    »Was wollt ihr zwei mal machen, wenn ihr groß seid?«, hatte Kilian sie damals gefragt.
    »Eines Tages baue ich die höchste Kathedrale der Welt«, hatte Valentin träge geantwortet.
    »Pah, die fällt doch sowieso nur zusammen!«
    »Und du?«
    »Ich werde der Klügste unter allen dominikanischen Gelehrten«, hatte Kilian gesagt und sich dabei mit ausgestreckten Armen wie ein Kreisel gedreht. »Und ich lerne Griechisch mit dem Prior Balduin.«
    »Und du, Lena?« Die Frage war von Valentin gekommen, seine Stimme klang sehr leise.
    »Ich möchte malen«, hatte sie gesagt und schon damals gewusst, dass das auf Dauer nichts werden konnte. Schließlich war sie ein Mädchen.
    Ihre Dreierbande löste sich auf, als Valentin seine Lehre als Steinmetz begann, Kilian ins Kloster ging und sie selbst von Martha in den Haushalt eingewiesen wurde. Vielleicht bröckelte ihre Freundschaft aber auch schon, als Lena und Valentin begannen, Händchen zu halten, und den kleinen Kilian links liegenließen. Wehmütig dachte Lena an unbeschwertere Zeiten zurück.
    Am Hang befand sich das Dorf Sulzgries mit seiner Salzabbaustelle. Doch Lena marschierte schnurstracks daran vorbei und ließ ihren Blick stattdessen ins Tal wandern. An dieser Stelle senkten sich die Hänge in tiefen Schluchten zum Fluss, bildeten bewaldete Klingen, die für den Weinbau zu schattig waren. Oberhalb des Weilers Krummenacker aber dehnte sich eine Hochebene aus, eine weite, wellige Landschaft voller Obstbäume, die in eine hochgelegene Heide überging. Hier oben war man dem Himmel so nahe, dass der Lärm der Stadt und alle Geräusche verklangen. Eine Lerche sang am Himmel, und Lena breitete die Arme aus, atmete tief durch und hob den Blick zum Horizont, wo sich in weiter Ferne und dunstigem Blau die steilen Hänge der Schwäbischen Alb erhoben.
    Sie hielt sich in Richtung Waldrand und stieg in eine kleine Senke hinab, in der zwischen Obstbäumen und Kräuterbeeten das Haus ihrer Freundin Renata lag. Renata Steinhöfel, Tochter der angesehenen Ratsfamilie gleichen Namens, war mit dem Nachbarn der Familie Luginsland, dem Apotheker Appenteker, verheiratet gewesen, einem sehr viel älteren Mann, der vor sechs Jahren gestorben war und ihr neben der Apotheke einen Weinberg und etwas Grundbesitz außerhalb der Mauer hinterlassen hatte. Renata, die als Frau in der Stadt Esslingen kein Geschäft führen durfte, hatte das Beste aus der Situation gemacht, die Apotheke an Appentekers Neffen verpachtet und war mit ihrem Sohn Franz aufs Land gezogen. Hier zog sie einen Teil der Kräuter und Heilpflanzen für die Apotheke heran, auf die sie noch immer ein Auge hatte.
    Still und verwunschen lag das Häuschen im warmen Licht des Spätnachmittags. Sein mit Stroh gedecktes Dach hing tief, die Fenster waren klein, die Wände dick, um später im Jahr die Kälte besser abzuhalten. Als Lena sich der Eingangstür näherte, hörte sie nichts als das Summen von Renatas Bienen, die sich auf dem Thymian und dem blühenden Salbei rund um die Haustür tummelten.
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