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Die Himmelsmalerin

Die Himmelsmalerin

Titel: Die Himmelsmalerin
Autoren: Pia Rosenberger
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aber das wusste er nicht. Eigentlich waren die Anstetters aus Tübingen direkte Konkurrenz zur Werkstatt Luginsland in Esslingen. Doch das ließ sich schnell ändern, wenn der älteste Sohn die Glasmalertochter aus Esslingen freite. Dann war man ein einziger Betrieb, und alle Probleme lösten sich von ganz alleine. Wenn, ja wenn Lena den Meister Anstetter aus Tübingen nur ein bisschen netter finden würde.
    »Denkt dran«, begann dieser jetzt von neuem. »Margareta mit dem Wurm, Barbara mit dem Turm, Katharina mit dem Radl, das sind die drei heiligen Madl. Und Katharina, Eure Stadtheilige, ist die Beschützerin der Ehefrauen. Also vielleicht bald auch die Eure.«
    »Aber auch die der Mädchen und Jungfrauen«, gab Lena vorwitzig zurück und trat an den Rebhang heran, der sich vor ihr fast senkrecht bis zum Fluss herunterzog.
    Er schüttelte missbilligend den Kopf, stand auf und streckte sich, bis es in seinen Knien knackte. »Aber nicht die der alten Jungfern.«
    Lena sah ihn an und hätte fast gelacht. Manchmal konnte er es mit ihrer spitzen Zunge durchaus aufnehmen. So bald war sie noch keine alte Jungfer. Schließlich war sie im letzten Dezember erst siebzehn geworden, und damit im besten heiratsfähigen Alter.
    Ächzend ließ sich Meister Luginsland von seinem Schwiegersohn in spe auf die Füße helfen. »Wir reden später, Meister Marx«, sagte der Glasmaler und ging wieder an die Arbeit.
    Das geflößte Holz war inzwischen an der Landestelle angekommen und verstopfte den Neckar nun oberhalb der Brücke. In Esslingen wurde an jeder Ecke gebaut, Holz war immer gefragt.
    Die Sonne wanderte gen Westen, aber es war noch immer so heiß, dass Lena der Schweiß zwischen den Schulterblättern herablief. Ganz plötzlich stand Marx Anstetter neben ihr.
    »Was denkt Ihr Euch dabei, mich so vorzuführen, vor Eurem Vater?«
    Verwundert sah sie ihn an. Seine Stimme klang anders als zuvor. Scharf, ungeduldig und voller unausgesprochener Drohungen. Ihr Vater hatte nie so mit ihr gesprochen. Anstetters Hand legte sich auf ihren Rücken, Besitz ergreifend, als gehöre sie ihm bereits mit Leib und Leben. Lena tat einen Schritt nach vorn in Richtung des Abgrunds.
    »Ich brauche Eure Antwort nicht, obwohl es sicher Spaß machen würde, Euch zu zähmen. Mit Eurem Vater bin ich schon einig. Und Ihr wisst ganz genau, warum.«
    Er ließ sie stehen, allein zwischen den summenden Bienen, den Blick auf den graugrünen Fluss gerichtet, der gen Westen hinter einer Biegung verschwand, wohin Lena nie gekommen war. Alle anderen gingen an ihre Arbeit zurück, nur sie verharrte noch einen Moment. Dann drehte sie sich um und wanderte steil bergauf.

2
    Auf der Brücke stauten sich Reisende, Reiter und Fuhrwerke wie Steine in einem Mühltrichter.
    Die Sonne brannte, ließ die Weinberge am Flussufer hellgrün aufleuchten und den Fluss wie eine träge Schlange das Tal herunterrollen. Es war heiß, zu heiß, um vor dem Brückentor in einer Menschenmenge zu schmoren. Lionel strich sich die verschwitzten Haare aus der Stirn. Seit einer geraumen Weile ging es gar nicht mehr voran.
    Die Zeit steht still, dachte er. Vielleicht würde er für immer hier stehen, bis zum Jüngsten Tag, und niemals das Chorfenster in der Kirche der Franziskaner verglasen. Doch vorher würde er wahrscheinlich in der Sonne schmelzen wie eine Wachskerze.
    Urplötzlich gab es eine Unterbrechung im Einerlei. Ein falsches Signal, und der Ochsenkarren direkt vor Lionel setzte sich in Bewegung. Drei Schritte, dann standen die Ochsen auch schon wieder, weil der Weg vor ihnen von Menschen überquoll. Der Wagen krachte in die Deichsel. Ein schlecht befestigter Sack purzelte von der Ladefläche, landete auf der Brücke und zerplatzte. Korn rieselte über den steinernen Grund und lockte die Bettler an, die sich in den Staub fallen ließen und so viel wie möglich in ihre mitgebrachten Becher schaufelten.
    »Verflixter Lumpenkerl«, schrie der Fuhrmann, und der Lehrjunge, der die Zügel gehalten hatte, fing sich eine saftige Maulschelle ein.
    Lionel verdrehte die Augen zum Himmel, wo ein Falke gelassen im Blau kreiste. Der Fuhrmann sprang vom Wagen, verteilte Keile nach rechts und links und begann, in den Sack zurückzuschaufeln, was noch einzusammeln war. Die Ochsen schauten teilnahmslos zu, während der Junge sich in Erwartung weiterer Prügel duckte.
    Jetzt scheute auch Étoile, den Lionel neben sich am Zügel führte. Sanft strich er dem Weißen über die Nase und raunte ihm etwas in
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