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Boeses Spiel in Oxford

Boeses Spiel in Oxford

Titel: Boeses Spiel in Oxford
Autoren: Veronica Stallwood
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    Wie kommt ein Mann dazu, eine Perücke zu tragen?
    Über diese Frage dachte Kate Ivory nach, während sie den schrillen Protest eines kleinen, französischen Mädchens über sich ergehen ließ, das sich standhaft weigerte, das Flugzeug ohne seinen Spielzeughasen zu verlassen. Das Mädchen und seine Mutter, die sich übrigens ebenso laut und schrill gebärdete, blockierten erfolgreich den schmalen Gang. Man hatte eigens eine Stewardess dazu abgestellt, den verlassenen Sitzplatz abzusuchen; den übrigen Fluggästen allerdings blieb nichts anderes übrig, als mehr oder weniger geduldig darauf zu warten, das Flugzeug endlich verlassen zu dürfen. Kate, die sich hinter einer Frau in einem grauen Anorak eingequetscht wiederfand, hatte den Hinterkopf eines Mannes weiter vorn studiert und war zu der Überzeugung gekommen, dass es sich bei dem glänzenden, kastanienfarbenen Haar eindeutig um ein Kunstprodukt handeln musste. Die Farbe war einfach zu perfekt und passte überdies nicht zu der sehr hellen Haut des Trägers. Das, was man vom Nacken sehen konnte, gehörte mit Sicherheit keinem alten Mann; Kate tippte auf ein Alter zwischen zwanzig und dreißig. Sie wünschte sich, er würde sich wenigstens einmal kurz umdrehen, damit sie sein Gesicht sehen könnte, doch seine gesamte Aufmerksamkeit wurde von dem ungebärdigen Kind in Anspruch genommen.
    »On l’a trouvé«, verkündete die Stewardess. Die Fluggäste gerieten in erwartungsvolle Bewegung.
    Natürlich mochte es viele triftige Gründe dafür geben, dass ein Mann seinen kahlen Schädel mit fremdem Haar schmückte, dachte Kate. Eine Krankheit zum Beispiel. Oder Eitelkeit. Ihrer Erfahrung nach waren Männer mindestens ebenso eitel wie Frauen. Sie kannte nicht einen einzigen Mann, der an einem Spiegel vorübergehen konnte, ohne sein Abbild zu begutachten.
    Es ging immer noch nicht weiter in Richtung Ausgang. In der Kabine war es stickig. Der Atem der Frau im grauen Anorak, den Kate zwangsläufig teilte, roch nach Wein. Ob der Mann unter seiner Perücke nicht fürchterlich ins Schwitzen geriet? Kate ertappte sich dabei, dass sie sich voller Mitleid am Kopf kratzte. Ihr kurz geschnittenes Haar war ihr eigenes und kunstvoll silberblond mit cremefarbenen Strähnchen getönt. Kate konnte den Blick einfach nicht von der Perücke wenden. Plötzlich lief der Nacken des Mannes puterrot an, als hätte der Mann bemerkt, dass er ihre Aufmerksamkeit erregte.
    Endlich ging es zögernd vorwärts. Kate sah auf die Uhr. Ihr blieben noch siebzehneinhalb Minuten bis zur Abfahrt des Busses von Gatwick nach Oxford.
    Das aufsässige kleine Mädchen stampfte mit den Füßen auf und lamentierte weiter, obwohl man ihr den Spielzeughasen längst zurückgegeben hatte. Der Kopf mit der kastanienbraunen Perücke neigte sich ein Stück zur Seite und schaffte es, sich an Mutter und Kind vorbeizuschlängeln. Kate beschleunigte so gut es eben ging. Sie wollte versuchen, Schritt mit ihm zu halten.
    Falls der Mann wirklich eitel war, wieso hatte er dann ausgerechnet diese auffällige Farbe gewählt? Kate, deren Schriftstellerinnenblick kaum etwas entging, bemerkte, dass er durchaus nicht schlecht gekleidet war. Er trug einen hellen Trenchcoat zur schwarzen Hose; unter dem Mantelkragen kam ein dunkelblaues Hemd zum Vorschein. Seine Hände steckten in braunen Lederhandschuhen, obwohl die Temperaturen weiß Gott nicht winterlich waren. Die Handschuhe eines Diebes, dachte Kate. Nein, das war lächerlich! Jetzt ging wirklich die Fantasie mit ihr durch. Vielleicht hatte der arme Kerl eine hässliche Hautkrankheit, die zu Haarausfall und schuppigen Händen führte.
    Irgendwann entschwand der Mann ihren Blicken. Kate war aufgefallen, dass er nur eine kleine Tasche bei sich hatte, die als Bordgepäck zugelassen war. Wahrscheinlich würde er seinen Bus noch erwischen, während sie sich damit vergnügen durfte, fremder Leute Koffer auf dem Gepäckband an sich vorbei Karussell fahren zu sehen. Sie hätte besser auch nur eine kleine Tasche mitgenommen, sagte sie sich, während sie einem blau uniformierten Mann ihren Pass zeigte. Doch dann hätte sie ihre fünf Paar Lieblingsschuhe zu Hause lassen müssen, ganz zu schweigen von dem cremefarbenen Seidenblazer und den sieben Taschenbüchern Ferienlektüre.

    Der Mann mit der Perücke hatte gespürt, dass jemand ihn anstarrte, während alle darauf warteten, das Flugzeug verlassen zu können. Es war kein konkretes Gefühl gewesen – nur eine Art Kribbeln im Nacken, das
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