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Die Himmelsfestung

Die Himmelsfestung

Titel: Die Himmelsfestung
Autoren: Hubert Haensel
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Sein Blick huschte über die versammelten Geschöpfe des Waldes. Unsagbare Trauer stand in seinen großen Augen zu lesen.
    Er hielt einen kleinen, jungen Vogel mit vom Feuer versengten Schwingen in Händen. Das Tier war tot, und er nahm es mit sich – er verschwand genauso stumm im Moor, wie er daraus aufgetaucht war. Vielleicht zum letztenmal, wenn der Herr des Chaos und die Mangoreiter dieses Gebiet für sich beanspruchten.
*
    Die Spur war frisch. Oggrym te Nauk drängte sein dampfendes Roß an den Baum, um den abgebrochenen Ast näher in Augenschein zu nehmen. Harz war aus der Bruchstelle ausgetreten, und dieses Harz klebte noch. Länger als eine halbe Stunde konnte es demnach nicht her sein, daß die verfolgten Dunkelkrieger hier entlang geritten waren. Der Boden allerdings war zu hart, um Spuren erkennen zu lassen.
    Ein zweiter Ritter lenkte sein Pferd an te Nauks Seite. »Nun?« fragte er. »Wann werden wir sie eingeholt haben?«
    »Schlecht zu sagen. Auf jeden Fall sind wir ihnen nahe. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ihre Tiere ohne Rast noch lange durchhalten.«
    Der Apfelschimmel des zweiten begann zu tänzeln und war nur schwer wieder zu beruhigen. Schaum stand vor seinem Maul, seine Flanken bebten. Das Fell troff vor Nässe; Dornen und Blätter, die sich darin verfangen hatten, zeugten von einem langen Ritt durch dichten Forst. Der Ritter entledigte sich seines Kettenhandschuhs, klappte das zum Adlerkopf ausgebildete Visier des Helmes zurück und wischte sich mit dem Handrücken über die schweißnasse Stirn. Er war noch jung, seinem Aussehen nach eher ein Knabe, denn ein kampferfahrener Recke.
    »Wenn wir unseren Pferden nicht ebenfalls bald Ruhe gönnen, werden sie unter uns zusammenbrechen.«
    Oggrym te Nauk, der Anführer der zwanzigköpfigen Reiterschar, vollführte eine unwillige Bewegung.
    »Willst du, daß die Dunkelkrieger uns entkommen? Eine zweite Möglichkeit, sie zu stellen, werden wir wohl kaum erhalten.«
    »Ich weiß nicht«, murmelte der Junge. »Irgendwie habe ich ein ungutes Gefühl, je näher wir ihnen kommen.«
    Oggrym lachte leise. »Vor der ersten großen Schlacht haben ähnliche Gedanken jeden von uns bedrückt«, sagte er. »Laß uns weiterreiten.«
    Das Gebiet, durch das sie kamen, mochte einst dicht bewaldet gewesen sein. Jetzt zeugten nur noch einzelne verkohlte Baumstümpfe davon – vielleicht die Überreste einer durch Blitzschlag erzeugten Feuersbrunst.
    Dunkelrot blühendes Heidekraut war die vorherrschende Pflanze.
    Ein Pferd scheute plötzlich und bäumte sich auf. Sein Reiter hatte Mühe, es zu besänftigen. Oggrym te Nauk, der neben dem Jungen an der Spitze ritt, wandte sich im Sattel halb um.
    »Was ist los?« rief er.
    »Eine Schlange«, wurde ihm geantwortet. »Ich habe sie zu spät bemerkt.«
    »Hat sie gebissen?«
    »Nein, ich glaube nicht.«
    »Dann weiter.«
    Es blieb ruhig ringsum. Die Luft wurde schwüler und stickiger, je weiter sie kamen. In das Schnauben der Pferde mischte sich das zornige Summen blutgieriger Insekten. Dunkle Wolken ballten sich am Firmament zusammen, und wenig später zuckte der erste Blitz herab, unmittelbar gefolgt von grollendem Donner. Der Einschlag erfolgte in nächster Nähe.
    Finsternis brach herein, aber nicht ein Regentropfen fiel. Der Donner schien nicht enden zu wollen. Erneut schlug ein Blitz ein, diesmal keine zweihundert Mannslängen von den Reitern entfernt. Der Boden erzitterte wie unter der Wucht eines aufprallenden Kriegshammers; Pflanzen und Erdreich wurden aufgewirbelt.
    »Die Götter zürnen uns«, rief jemand.
    »Sucht in einer Senke Schutz…« Oggrym te Nauks Worte gingen in einem ohrenbetäubenden Knall unter. Überall war gleißende Helligkeit, als stünde alles in Flammen. Sein Pferd gehorchte dem Zügel nicht mehr, in panischer Furcht brach es aus und raste davon, als hetzten sämtliche Furien der Unterwelt hinter ihm drein.
    Endlich begann es zu regnen. Dicke, schwere Tropfen klatschten herab; sie verwandelten das Erdreich in schlammigen Morast. Te Nauk fühlte, daß sein Tier am Ende war. Als es mit bebenden Flanken stehenblieb, saß er ab und führte es am Zügel zurück.
    Einer der anderen Ritter war gestürzt, sein Pferd lag leblos neben ihm. Er hatte nur ein Kettenhemd und eine Lederrüstung getragen, außerdem einen Helm mit bunten Federn. Die Federn waren verschwunden, die Rüstung wies eine Vielzahl von Brandflecken auf.
    »Er ist tot. Vom Blitz erschlagen.«
    »Wir müssen ihn begraben.«
    Oggrym
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