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Die Himmelsfestung

Die Himmelsfestung

Titel: Die Himmelsfestung
Autoren: Hubert Haensel
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und dem Wiehern ihrer Tiere.
    Nie zuvor war eine Kriegsschar in das bislang stille Zeitelmoos eingedrungen, in das Reich der braunen Erdmännchen, die kaum vier Fuß Größe erreichten. Die Pixies galten als freundliche Geschöpfe, die mit allen Bewohnern von Hinterwald in Frieden lebten. Sie waren dürr, wobei die langen Arme und Beine diesen Eindruck noch verstärkten. Die großen, abstehenden Ohren und die runden Augen verliehen ihren breiten Gesichtern einen Ausdruck ewigen Lächelns. Ihr Haar war wie Schilfgras, und manchmal, hieß es, fanden sich sogar Blüten darin. Doch gesehen hatte das noch kein Außenstehender. Die Pixies entfernten sich im allgemeinen nie weit vom Rand ihres Moores, in dem sie alles fanden, was sie zum Leben bedurften.
    Jetzt rannten sie wie aufgescheuchte Kinder durcheinander. Mit ihrem Wissen und Können hätten sie die Mangoreiter sicher in den Untergang locken können, doch keiner faßte sich ein Herz, es auch nur zu versuchen.
    Die Angreifer schleuderten Fackeln auf die hingeduckt stehenden Hütten. In den trockenen Schilfdächern fanden die Flammen ausreichend Nahrung und griffen gierig um sich, leckten sogar an den mächtigen Stämmen der jahrhundertealten Baumriesen empor. Zum Glück erstickte die überall herrschende Feuchtigkeit das Feuer rasch wieder.
    Als das Chaos vollkommen war, als viele Pixies sich vor Schmerzen am Boden krümmten, weil sie entweder von den Pferden getreten oder von den Reitern niedergeschlagen worden waren, ertönte eine weithin hallende dumpfe Stimme.
    »Das war erst der Anfang, Bewohner des Hinterwalds. Ihr habt zehn Tage Zeit, euer Land zu verlassen. Wenn nicht, werden die Schrecken aus dem Horn der Vailita über euch kommen und euch vernichten.«
    Wie auf einen geheimen Wink hin, preschten die Reiter davon. Sie ließen Furcht und Entsetzen zurück, halb verkohlte, absterbende Bäume und ein zerstörtes Dorf. Nur zögernd wagten die Pixies sich aus ihren Verstecken hervor. Viele von ihnen weinten, und allen gemeinsam war die Hoffnungslosigkeit. Sie konnten nicht kämpfen; lieber würden sie ihre Heimat preisgeben, als zu sterben.
    »Was sollen wir tun?« rief einer.
    »Haben wir überhaupt eine Wahl?« jammerte ein anderer.
    »Wenn wir fortgehen, kann es für uns kein würdiges Leben mehr geben.«
    »Es gibt andere Sümpfe, in denen wir uns wohl fühlen werden.«
    »Glaubst du wirklich, daß wir dort sicher sind?«
    »Der Mangoreiter sprach vom ganzen Hinterwald. Wir sollten die Schrate und Kautze, die Irrlichter, Taetze und Ruebeze fragen, was sie zu tun gedenken. Ihnen allen droht kein besseres Schicksal als uns.«
    Vereinzelt wurde Zustimmung laut.
    »Je eher wir aufbrechen, desto besser für alle. Wer weiß, ob die Reiter nicht schon morgen wiederkommen.«
    Gurgelnd und blubbernd stiegen Blasen aus dem Moor an die Oberfläche. Gleich darauf wurde ein schlammverschmierter, schütterer Haarschopf sichtbar, und große, weiße Augen blickten unter einer runzligen Stirn in die Runde. Eine Knollennase folgte, dann ein schmallippiger, zahnloser Mund, der ein durch Mark und Bein gehendes Stöhnen ausstieß.
    »Der Braune Mann taucht auf.« Einige Pixies traten neugierig näher.
    Selbst sie, die hier lebten, bekamen den Mann aus dem Moor nur selten zu Gesicht. Obwohl er nicht stumm war, sprach er nie zu ihnen. Er kam und ging, wie es ihm beliebte, und niemand konnte ihm folgen.
    Behaarte Hände umfaßten einen Felsen; der Braune Mann, der wie ein Mensch aussah, zog sich an ihm hoch. Sein Blick streifte die versammelten Pixies, doch sein Gesicht blieb unbewegt. Selbst als er auf sie zuschritt und sie zurückwichen und eine Gasse bildeten, ließ er keine Regung erkennen. Der leinenartige Umhang, den er trug, war so dünn und zerschlissen, daß nur der Schlamm ihn noch zusammenhielt. In seinen Fußtapfen sammelte sich brackiges Moorwasser.
    Erst vor einem der angekohlten Baumriesen blieb er stehen und ließ sich langsam und schwerfällig auf die Knie sinken. Mit beiden Händen tastete er durch das hohe Gras und stieß deutliche Klagelaute aus, als er gefunden hatte, wonach er suchte.
    Die Pixies konnten nicht erkennen, was er fest an seine Brust gepreßt hielt. Der Braune Mann jammerte laut. Er schwankte, jeder Schritt schien ihm plötzlich schwer zu fallen. Die Pixies wollten ihm helfen, ihn stützen, doch er verscheuchte sie mit einer einzigen Kopfbewegung.
    Am Rand des Moores, unmittelbar neben dem Felsen, blieb er stehen und wandte sich noch einmal um.
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