Die Hexenmeister
geöffnet, um einen Teil des Feuers zu entlassen.
Ich senkte den Kopf. Plötzlich kamen mir die Mauern des Klosters bedrohlich vor, war der kleine Friedhof in der Nähe zu einem Ort des Schreckens geworden, über den die Dämmerung hinwegfloß wie graue Nebelschwaden. Ich lauschte meinen eigenen Schritten, als ich auf das Kloster zuging. Bestimmt waren die Schüsse gehört worden, aber es hatte sich niemand getraut, nachzuschauen, was auch besser gewesen war.
Die Äbtissin erwartete mich bereits. Sie kam mir sogar entgegen und schien mit hellseherischen Gaben ausgestattet zu sein. Sie blieb stehen und schaute mich an.
Ich hob die Schultern. Sagen konnte ich nichts, die Kehle saß einfach zu.
»Es hat Tote gegeben, nicht?«
Ich nickte.
»Wer?«
»Zwei Killer – und Maria. Mein Partner ist verletzt. In seinem Oberschenkel steckt eine Kugel.«
Sie sagte zunächst nichts. Dann meinte sie mit leiser Stimme. »Ich hole Hilfe und glaube, jetzt sind wir alle hier im Kloster gefordert…«
***
Der Hexenmeister führte Solara in die Unterwelt des Klosters, und er bewegte sich, als hätte er schon immer hier gelebt.
Er kannte sich aus. Er war wie ein Schatten, man hörte ihn nicht. Er ging hinter der jungen Nonne her, die seine Schritte nicht vernahm, so daß es ihr vorkam, als würde er über dem Boden schweben.
Sie hatten die breite Treppe genommen und waren in die Kühle und die Düsternis hineingestiegen, vor der Solara sich eigentlich nie gefürchtet hatte, was allerdings jetzt anders war, denn sie hatte den Eindruck, als wäre sie von einem nie abreißenden Spinnennetz umweht worden, das über Gesicht und Körper strich.
Auf ihrem Rücken materialisierte sich die Furcht. Sie lag dort in der Größe von Hagelkörnern. Mit jedem Schritt, den sie vorging, schien sie ihrem Grab näher zu kommen.
Sie dachte an die letzten Minuten.
Es war furchtbar gewesen.
Dieser Hexenmeister hatte ihr nicht die geringste Chance zur Flucht gegeben. Er hatte sie zwar nie berührt, sie empfand ihn trotzdem wie eine schleimige Klette, die sich um ihren Körper geschlungen hatte, um sie in die Tiefe zu zerren.
Angst hatte sie bisher nie gekannt. Nun aber krallte sie sich fest. Der Schauer floß immer stärker, hinter sich spürte sie den Hauch des Todes, und wenn sie ihren Schritten lauschte, kam es ihr vor, als würde sie über Glasscherben schreiten.
Sie zitterte.
Das Kloster war sehr alt und hatte schon die langen Jahre überdauert. In den oberhalb liegenden Räumen war es zweimal umgebaut worden.
Beide Male nach einem Brand.
Hier unten hatte sich nichts verändert.
Enge Gänge, feuchte Wände, gleichbleibende Temperaturen. Selbst im heißen Sommer herrschte hier die Kühle eines Grabes.
Am Eingang des Kellers waren die Vorratsräume. Die allerdings interessierten den Hexenmeister nicht. Er wollte weiter, denn nur die Tiefe und Einsamkeit des Klosters gab ihm die Gewißheit, auch allein bleiben zu können.
Manchmal, wenn es ihm zu langsam ging, spürte die Nonne den Druck seiner Hand in ihrem Rücken. Dann war es ihr, als wäre sie von einer Totenklaue angefaßt worden, und sie schauderte jedesmal zusammen.
Ihre Beine zitterten. Die Füße berührten nur leicht den Boden, dennoch hatte sie den Eindruck, als würde es ihr schwerfallen, und sie ging wie durch tiefen Schlamm.
Immer wenn sie Luft holte, schmerzte ihre Brust. Die lange Kutte kam ihr wie eine klebrige zweite Haut vor, die sich hin und wieder an ihren Körper schmiegte.
Hinter den Schläfen hämmerte das Blut. Es schien zu kochen, und Schwindel überkam sie.
Sie mußte sich an der feuchten Wand abstützen. Als ihre Handfläche Kontakt bekam, da war es ihr, als hätte sie in weichen Schlamm gefaßt, in dem Käfer und anderes Kriechgetier ihre Heimat gefunden hatten und nur darauf warteten, über ihre Finger krabbeln zu können. Es war einfach widerlich.
Er faßte sie wieder an.
Die junge Nonne verzog ihren Mund. Eine Geste des Ekels, der sie überfallen hatte.
»Weitergehen. Du wirst bald dort sein.«
Er hatte eine Fackel mitgenommen, um Licht zu haben. Die Flamme tanzte und bewegte sich. Manchmal spürte Solara sie, wenn sie ihren heißen Atem über die Haut schickte. Sie fürchtete sich auch davor, daß Valentin sie kurzerhand in Brand steckte. Sie malte sich all die Schrecken aus, die ihr noch widerfahren würden, bevor sie endgültig starb.
Warum sie?
Der Gedanke an Maria überfiel sie. Hatte sie nicht denselben Weg erlebt wie sie? Hatte es bei
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