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Die Herzogin der Bloomsbury Street

Die Herzogin der Bloomsbury Street

Titel: Die Herzogin der Bloomsbury Street
Autoren: Helene Hanff
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Wischen – Auswringen, Wischen – Auswringen, Wischen – Auswringen. Zum Glück hatte ich die Badezimmertür zugemacht, sonst wäre mein Koffer fortgeschwemmt worden.
    Nach dem Frühstück ging ich raus in den Regen, um mir die Häuser anzusehen. Das Hotel befindet sich Ecke Great Russell Street und Bloomsbury Street, der Eingang ist in der Great Russell Street, einer Geschäftsstraße, und die Häuser, die ich von meinem Fenster aus gesehen hatte, stehen in der Bloomsbury Street.
    Langsam ging ich die Straße entlang und hielt den Blick unentwegt auf die Häuser gerichtet, bis ich zur Ecke und zu einem dunklen kleinen Park kam, der Bedford Square heißt. Der Park ist an drei Seiten von weiteren schmalen Backsteinhäusern gesäumt, nur dass diese hier viel hübscher und viel gepflegter sind. Ich setzte mich auf eine Parkbank und sah die Häuser unverwandt an. Ich zitterte. Nie in meinem Leben war ich so glücklich gewesen.
    Mein ganzes Leben lang wollte ich nach London. Ich bin in englische Filme gegangen, bloß weil ich Straßen mit solchen Häusern sehen wollte. Wenn ich in dem dunklen Kinosaal saß, wurde der Wunsch, auf einer solchen Straße zu gehen, so heftig, dass er wie Hunger an mir nagte. Manchmal, wenn ich abends zu Hause saß und bei William Hazlitt oder Leigh Hunt eine flüchtige Beschreibung von London las, ließ ich das Buch sinken, weil mich plötzlich eine Sehnsucht überflutete, die wie Heimweh war. Ich wollte London sehen, so wie alte Leute ihre Heimat noch einmal sehen wollen, bevor sie sterben. Ich sagte mir, dass das bei einer Schriftstellerin und begeisterten Leserin, die mit der Sprache Shakespeares aufgewachsen ist, nur natürlich war. Aber als ich auf der Bank auf dem Bedford Square saß, kam mir nicht Shakespeare in den Sinn, sondern Mary Bailey.
    Meine Vorfahren sind ein gemischter Haufen, zu dem auch eine englische Quäkerfamilie namens Bailey zählt. Eine Tochter aus dieser Familie, Mary Bailey, die 1807 in Philadelphia geboren wurde, war die einzige meiner Vorfahren, für die ich mich als Kind interessierte. Von ihr ist ein Sticktuch erhalten, das ich oft stundenlang betrachtete, weil ich mir davon Auskunft über Mary erhoffte. Ich weiß nicht, warum ich unbedingt etwas über sie erfahren wollte.
    Als ich nun auf dem Bedford Square saß, machte ich mir klar, dass Mary Bailey in Philadelphia geboren und in Virginia gestorben war und London nie gesehen hatte. Aber der Name blieb mir im Kopf. Vielleicht war sie die Namensvetterin von jemand anderem. Vielleicht war es auch ihre Großmutter oder ihre Urgroßmutter gewesen, die in die alte Heimat hatte zurückkehren wollen. Während ich auf der Bank saß, wusste ich nur eines mit Gewissheit, nämlich dass irgendeine längst verstorbene Mary Bailey eine Nachfahrin gefunden hatte, die für sie den Weg in die alte Heimat gemacht hatte.
    Ich ging wieder ins Hotel und machte mich zurecht, damit ich bei André Deutsch einen guten Eindruck hinterlassen würde. Bürstete mein dunkelblaues Jackett (was mir in New York niemand glauben wird) und versuchte eine halbe Stunde lang, mein neues rot-weißblaues Tuch zu einem Ascot-Knoten zu binden, weil ich ein bisschen britisch aussehen wollte. Dann ging ich in die Halle, setzte mich kerzengerade auf einen Stuhl und rührte mich nicht vom Fleck, aus Angst, dass ich in Unordnung geraten könnte, bis eine junge Sekretärin hereinstürmte und mich drei Häuser weiter zum Verlag in der Great Russell Street eskortierte.
    Ich lernte Carmen kennen – sehr forsch und flink und dramatisch aussehend – und wurde von einer lebhaften jungen Reporterin vom
Evening Standard,
die Valerie Jenkins hieß, interviewt. Nach dem Interview stiegen wir drei und ein Fotograf in ein Taxi, und Carmen sagte zu dem Fahrer:
    » 84 , Charing Cross Road.«
    Die Vorstellung, dass ich auf dem Weg zu dieser Adresse war, hatte etwas Unwirkliches. Zwanzig Jahre lang hatte ich Bücher von der Buchhandlung in der Charing Cross Road gekauft und mich mit den Menschen dort angefreundet, ohne sie je gesehen zu haben. Die meisten Bücher, die ich bei Marks & Co. kaufte, hätte ich wahrscheinlich auch in New York bekommen können. Jahrelang hatten Freunde mir geraten: »Probier’s doch mal bei O’Malley’s.« Oder: »Probier’s doch mal bei Dauber & Pine.« Ich habe es nie getan. Ich wollte eine Verbindung nach London haben, und das war mir gelungen.
    Die Charing Cross Road ist eine enge, schäbige, von Autos verstopfte Straße mit
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