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Die Herzogin der Bloomsbury Street

Die Herzogin der Bloomsbury Street

Titel: Die Herzogin der Bloomsbury Street
Autoren: Helene Hanff
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vielen Antiquariaten. Auf den Ständen vor den Geschäften lagen Berge alter Bücher und Zeitschriften, und hier und da stand ein friedlicher Mensch im Nieselregen und stöberte in den Auslagen.
    Bei der Nummer  84 stiegen wir aus. Der Verlag hatte die leeren Fenster mit Exemplaren meines Buches dekoriert. Hinter den Schaufenstern sah der Laden düster und kahl aus. Carmen holte von Poole’s nebenan den Schlüssel und schloss die ehemalige Buchhandlung Marks & Co. für uns auf.
    Die beiden großen Räume waren leer geräumt. Sogar die schweren Eichenregale waren von den Wänden montiert worden und lagen staubig und verlassen auf dem Boden. Ich stieg die Treppe ins Obergeschoss hinauf, und auch da waren alle Räume leer und gespenstisch. Die Buchstaben, die an den Fenstern Marks & Co. ergeben hatten, waren abgerissen worden, ein paar lagen noch auf der Fensterbank, die weiße Farbe war teilweise abgesprungen.
    Ich schickte mich an, nach unten zu gehen, und meine Gedanken wanderten zu dem – inzwischen verstorbenen – Mann, mit dem ich so lange Jahre korrespondiert hatte. Auf halbem Weg legte ich meine Hand auf das Eichengeländer und sagte leise: »Was sagen Sie nun, Frankie? Ich habe es doch noch geschafft.«
    Wir gingen nach draußen – und ich stand brav da und ließ mich fotografieren, als würde ich andauernd fotografiert. Da kann man mal sehen, wie begierig ich bin, einen guten Eindruck zu machen und niemandem irgendwelchen Ärger zu bereiten.
    Als ich wieder ins Hotel kam, lag an der Rezeption ein Brief für mich. Er war von Pat Buckley, dem ehemaligen Eton-Schüler, von dem Jean Ely mir erzählt hatte.
    Ohne Anrede, nur:
    Jean Ely schreibt, dass Sie erstmals zu Besuch hier sind. Können Sie am Sonntag um 19.30 auf einen Happen vorbeikommen? – und dann machen wir eine kleine Tour durch das alte London.
    Rufen Sie mich Samstag oder Sonntag vor 9.30 an.
    In Eile
    P.B.

Samstag, 19 . Juni
    Bin komplett demoralisiert.
    Kam gerade vom Frühstück und habe Pat Buckley angerufen.
    »Ah, ja«, sagte er mit einem deutlichen Oberschichtakzent, »hallo.«
    Ich sagte, ich würde morgen gern zum Abendessen kommen, und fragte, ob noch andere Gäste eingeladen seien.
    »Ich gebe keine Abendgesellschaft für Sie«, sagte er ungeduldig. »Jean hat geschrieben, dass Sie London sehen wollen.«
    Ich stammelte, es sei mir natürlich recht, mit ihm allein zu essen, ich hätte nur gefragt, damit ich wüsste, was ich anziehen solle, denn wenn wir allein seien, dann könnte ich einen Hosenanzug anziehen.
    »Meine Güte, muss das sein?«, sagte er. »Ich verabscheue Frauen in Hosen. Wahrscheinlich ist das furchtbar altmodisch, aber ich finde, sie sehen alle miteinander scheußlich in Hosen aus. Aber gut, wenn Sie darauf bestehen, dann tragen Sie eben Hosen.«
    Es sind zehn Grad, und es regnet, da ziehe ich für ihn doch keinen Sommerrock an.
    Gerade rief Nora an, sie holt mich heute Nachmittag um zwei für das Interview ab.
    »Ihr Hotel ist unmittelbar hinter dem British Museum, Helen«, sagte sie. »Gehen Sie doch eine Weile in den Lesesaal, da ist es sehr friedlich.«
    Hab ihr gesagt, dass ich in New York oft genug ins Museum gehe und, weiß der Himmel, oft genug in irgendwelchen Leseräumen sitze.
    Gehe jetzt raus ins Nasse und mache einen Rundgang durch Bloomsbury.

Mitternacht
    Nora und ich hatten unser Interview bei der BBC ; es ist das einzige moderne Gebäude, das ich bisher gesehen habe, und ich hoffe, ich muss nicht noch eins sehen; es ist eine Monstrosität – ein riesiger, halbrunder Granitblock, ein abstoßender Anblick. Hier haben sie keine Ahnung von Wolkenkratzern. In New York haben sie von nichts anderem eine Ahnung.
    Die Interviewerin war ein spezieller Fall. Erst erzählte sie den Hörern am Radio, dass wir zwar zwanzig Jahre miteinander korrespondiert hätten, uns in der Zeit aber nie begegnet seien. Dann wandte sie sich an uns und fragte, wie wir uns nun fänden, nachdem wir uns endlich kennen gelernt hätten, ob wir enttäuscht seien? Wenn wir uns nie geschrieben hätten und uns erst jetzt begegnet wären, würden wir uns dann mögen?
    »Was war das denn für eine Frage, also wirklich!«, sagte Nora empört, als wir rauskamen. »Ob ich Sie mögen würde, wenn wir uns gerade kennen gelernt hätten? Woher soll ich wissen, ob ich Sie mögen würde? Ich kenne Sie seit zwanzig Jahren, Helen!«
    Sie fuhr mit mir zum Portland Place und zum Regent’s Park, den ich auf Anhieb leidenschaftlich liebte. Wir
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