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Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht

Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht

Titel: Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht
Autoren: Uwe Klußmann
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Metropolit mit neuem Titel auch als »Legatus des apostolischen Stuhls in Polen, Litauen und Deutschland«. Dabei verhieß er das Ende der Trennung zwischen »morgenländischer Kirche« und »Lateinern«, predigte beider künftige Union und versprach einen Kompromiss in so wichtigen Glaubensfragen wie jener, ob Christi Leib nur »im sauren Brote« (wie bei Griechen und Russen) oder auch »in süßem Teig« (wie bei den Römisch-Katholischen) empfangen werden dürfe.
    Der 61-jährige Isidor kam vom Konzil aus Florenz: einem großen, über Jahre und durch mehrere Städte sich hinziehenden Kirchenpalaver, bei dessen Abschluss Papst Eugen IV. glauben durfte, er habe den Vatikan wieder an die Spitze einer geeinten Kirche zurückverhandelt. Für solche Beute schien es vertretbar, die Gleichwertigkeit östlicher wie westlicher Rituale anerkannt zu haben.
    Doch die Architekten der Einheit hatten ihre Rechnung ohne Wassilij II. Wassiljewitsch gemacht: Dieser nicht eben helle Großfürst von Moskau und Wladimir, der schon als Zehnjähriger auf den Thron gelangt war, mochte sich nicht an neumodischen Kirchenkram gewöhnen. Und auch die Befehlsgewalt über seinen Oberpopen wollte er nicht mit dem Krummstab-Träger im fernen Italien teilen. Deshalb befahl Wassilij, den ökumenisch bewegten Isidor wegen Ketzerei standesgemäß hinter Klostergitter zu setzen, nachdem er es im Gottesdienst auch noch gewagt hatte, den Namen des Papstes vor dem seines Landesherrn zu nennen.
    Das alles geschieht im Jahr 1441: In England hat Heinrich VI. gerade Eton College gegründet. In weniger als hundert Jahren wird der Deutsche Martin Luther die katholische Kirche in ihren ideologischen Angeln quietschen lassen. Und Ostrom hat keine 15 Jahre mehr vor sich, bevor es die Osmanen hinwegfegen. Doch noch ehe das Kreuz auf der Krönungskirche oströmischer Kaiser gekappt und gegen den Halbmond ausgetauscht wird, erhebt 1448 eine Synode zu Moskau erstmals einen Russen ohne Zustimmung aus »Zargrad« (Konstantinopel) zum Metropoliten: Die Wahl fällt auf Ion, den Bischof von Rjasan und Murom. Die orthodoxe Kirche Russlands ist von nun an autokephal, das bedeutet unabhängig.
    Von der slawisch-griechischen Achse bleibt dem russischen Volk allein der orthodoxe Glaube, dazu die einenden Buchstaben der missionarischen Mönchsbrüder Kyrill und Method. Die Ursprünge seiner Religion haben sich längst im Dunkel von Legenden, Sagen und Apokalyptik verloren: Selbst ausgesucht hätten sich danach die Herrscher von Kiew die prunkvolle byzantinische Variante des Christuskultes. Doch die schönen Märchen drapieren selten mehr als handfeste Machtinteressen: Die Großfürsten von Kiew gieren im 10. Jahrhundert nach internationaler Aufwertung. Die oströmischen Kaiser, feinster Adel der damaligen Welt, brauchen Verbündete gegen die aufrührerischen Bulgaren: Eine Ehe zwischen Anna, der »purpurgeborenen« Schwester Basileio s ’ II. , und dem barbarischen Großfürsten Wladimir von Kiew verspricht eine elegante Lösung beider Probleme. Nur muss der Heide bis zur Vermählung seinem Gewittergott Perun abgeschworen haben: Im Januar 988 empfängt Wladimir die Taufe (und den Taufnamen Wassilij), Ende Mai desselben Jahres steigen seine Untertanen in den Dnjepr und erbaden sich kollektiv eine unsterbliche Seele. Im Sommer wird geheiratet.
    Die russische Kirche bewahrt seitdem durch alle Zeitläufte hindurch oftmals nur um des Bewahrens willen. Sie ist aller Konservativen natürlicher Verbündeter und ebenso verlässlich allen Veränderungen feind. Fremde aus dem Westen gelten ihr, so der habsburgische Diplomat Siegmund Freiherr von Herberstein 1516 sichtlich getroffen, als »nicht rechtgläubig und als Schismatiker, so hassenswert wie die Mohammedaner«. Eine weitere Nachricht des Wiener Freiherrn, die russischen Metropoliten nähmen ihre »gwalt von dem Patriarchen zuo Constantinopl«, wird rasch überholt: Bereits 1588 erhandelt Boris Godunow die vollständige kirchliche Unabhängigkeit.
    Moskau »und das ganze russische Zartum« erhalten nun einen eigenen Patriarchen; die Ausbildung einer russisch-orthodoxen Staatskirche findet damit auch ihre formale Bestätigung: Die mal mythisch, mal imperialistisch genutzte Formel von Moskau als Drittem Rom gehört von nun an ins Arsenal jeder expansiven Herrschaft in Russland. Die »Zeit der Wirren« mit ihren falschen Zaren, polnischen Marionetten und Usurpatoren lockt auch den höheren Klerus ins Spiel um die politische Macht.
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