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Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht

Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht

Titel: Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht
Autoren: Uwe Klußmann
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Leibeigenschaft als gottgewollt.
    Ein eindrucksvolles Beispiel für die intellektuelle Verelendung der Staat wie Kirche tragenden Kaste bietet die Biografie des Juristen Konstantin Pobedonoszew. Der Spezialist für bürgerliches Recht gilt mit seinen Forderungen nach einer liberalen Justizreform zunächst als große Hoffnung der aufgeklärten Moskauer Studentenschaft – bis er nach Petersburg befohlen und dort mit der Erziehung des Zarewitsch, des späteren Zaren Alexander III. , betraut wird. Dessen Vater, Reform-Zar Alexander II. , belohnt ihn noch kurz vor seiner Ermordung mit der Würde des Oberprokurors.
    25 Jahre lang, die gesamte Amtszeit seines Zöglings und die halbe des letzten russischen Zaren Nikolai II. dazu, wird Pobedonoszew nun den Heiligen Synod in eine Agentur für Obskurantismus und Fortschrittsfeindlichkeit verwandeln. Er predigt »unerschütterliche Selbstherrschaft«, organisiert eine Geheimgesellschaft und hetzt gegen die Juden: Von denen, so hofft er, werde ein Drittel »sterben«, ein weiteres Drittel »auswandern« und der Rest »im russischen Volk völlig assimiliert werden«. Diese Anschauung von der Welt ist längst kirchliche Hauptströmung. In gewisser Weise hat Pobedonoszew nur die ebenfalls über ein langes Leben gestreckte Wende des 40 Jahre jüngeren Goethe-Freundes Sergej Uwarow nachvollzogen. Der führt als 30-Jähriger im von ihm mitbegründeten Dichterkreis Arsamas aufmüpfige Reden und drangsaliert drei Jahrzehnte später den armen Alexander Puschkin: Als Minister für Volksaufklärung und Chef der Zensurbehörde verschreibt er seiner polit-orthodoxen Klasse eine »nationale Idee«, die aus der tristen Triade Rechtgläubigkeit, Autokratie und Volkstümlichkeit besteht.
    Der schlichte Dreisatz vermag aus dem zaristischen Völkergefängnis keinen identitätsstiftenden Staat mehr zu machen. Die Monarchie schlittert ihrem Ende entgegen – halb getrieben, halb gebombt. Und die Kirche der Rechtgläubigen ist ihr auf diesem letzten Wege weder Stecken noch Stab. Am Ende hat sie die Herrschaft – oder die Herrschaft sie – auf das Zerrbild des quacksalbernden Wanderpredigers Grigorij Rasputin reduziert, über den das Volk nur rätselt, ob er wohl mehr Zeit am Bett des kranken Kronprinzen verbringt oder im Bett der Zarin.
    Als 1917 die bürgerliche Revolution frischen Wind in diese Gruftgemeinschaft von Thron und Kirche bläst und Nikolai II. zum Abdanken zwingt, erhält die organisierte Orthodoxie noch einmal eine Chance. Selten zuvor verfügten Christi Stellvertreter in Russland über größeren Spielraum, die Stellung zwischen ihrem himmlischen Herrn und den Gläubigen neu zu bestimmen. Kaum jemals sind sie freier gewesen von staatlicher Macht als zwischen März und November 1917. Und sie nutzen die kurze Zeit zur Neuorientierung: durch die Wahl eines neuen Patriarchen, durch mehr Selbstverwaltung und größere Autonomie der Gemeinden.
    Aber die Galgenfrist ist zu kurz. Lenins Bolschewiki geben die Kirche als konterrevolutionäre Organisation zum Abschuss frei – bis der Priesterseminarschüler Josef Stalin sie unter den segnenden Händen seiner Geheimdienstler reaktiviert, zum Kampf gegen die Hitler-Truppen. Das kirchliche Personal wird zu einer Art Hilfstruppe der atheistischen Staatsmacht.

Schätze im Osten
    Moskaus Zugriff auf Sibirien begann
mit der Expedition des Kosaken Jermak, der
zu einem russischen Helden wurde.
    Von Jan Puhl
    D er »russische Pizarro« – so nannten ihn patriotische Historiker des 19. Jahrhunderts: Jermak Timofejewitsch. Es sind keine zeitgenössischen Bilder von ihm überliefert, es gibt kaum glaubwürdige Quellen über den Kosaken-Ataman, der im Auftrag russischer Kaufleute nach Sibirien vorstieß. Dabei klingen selbst die Chroniken der Tataren, seiner Gegner, ehrfurchtsvoll: »Jermak rüstete sich zum Kriege, Als der Mond am Himmel leuchtete, Unsere Heere hat vernichtet, Jermaks hohle Eisenwaffe. Da wir nun im blutigen Kampfe Mit Jermak uns da gemessen, Hat Jermak doch recht behalten.« Sein größter Sieg war die Eroberung der Tatarenstadt Sibir 1582, einer für heutige Verhältnisse trostlosen Ansammlung von Hütten und Lehmbauten mit Palisaden drum herum. So erscheint der Vergleich mit Francisco Pizarro, dem spanischen Eroberer des Inkareichs, arg übertrieben. Es war ein schneller Triumph für die Angreifer, rund 500 Kosaken und 300 Söldner. Den Ausschlag gaben die drei Kanonen und ein paar Dutzend Arkebusen. Doch bis Jermaks Leute vor den
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