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Die Herrschaft der Drachen 01 - Bitterholz

Titel: Die Herrschaft der Drachen 01 - Bitterholz
Autoren: James Maxey
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dem Rauch nach oben stiegen, wobei die Zeichnungen noch immer schwach sichtbar waren, bis sie im dunklen Himmel verschwanden.
    Der Jäger nahm die gebratene Zunge mit seinem Messer vom Stein und lehnte sich an den Baum. Er störte sich nicht an dem Blut, das den Stamm tränkte. Während er an seiner Mahlzeit kaute, starrte er auf das Tintenfläschchen. Es lockte Erinnerungen hervor. Erinnerungen waren für den Jäger nie etwas Gutes.
    Als er die Zunge aufgegessen hatte, wischte er sich die Finger an seinem verschmutzten Umhang ab. Er nahm das Buch und betrachtete die leeren Seiten. Dann öffnete er das Tintengefäß, tauchte eine Feder hinein und zog eine ungerade Linie auf dem Papier. Er versuchte es erneut, malte einen Kreis, und diesmal ließ sich die Linie flüssiger ziehen. Ganz oben auf die Seite schrieb er: »ABCDE … «, und alles kehrte zu ihm zurück.
    Er tauchte die Feder erneut in die Tinte, blätterte eine Seite weiter und schrieb in sorgfältigen, geraden Buchstaben: »Am Anfang.« Er hielt inne und zog eine Linie unter die Wörter. Er schlug erneut die Seite um und starrte auf das frische, weiße Pergament. Es war so weiß wie die Blüten eines Apfelbaums. So weiß wie die Haut einer jungen Braut. Er senkte die Feder auf das Blatt.

    Liebe Recanna,
ich habe viel an dich gedacht. Daran, was ich sagen
würde, wenn ich dich wiedersehen könnte. Daran, was
ich vor all den Jahren hätte sagen sollen.
Zwanzig Jahre. Zwanzig Jahre, seit ich deine Stimme
zum letzten Mal gehört habe. Zwanzig Jahre, die ich im
Krieg bin, allein.
Wäre nur
    Hier hörte der Jäger auf. Wäre nur. Es waren schwache Worte, bedauernde Worte. Sie hatten keinen Platz in seinem Herzen. Dies war keine Nacht, in der er sich Erinnerungen und wehmütigen Gedanken hingeben durfte. Morgen war ein wichtiger Tag. Morgen würde das von den Drachen meistgeschätzte Ritual überhaupt stattfinden, und es war an ihm, dabei eine besondere, ungeschriebene Rolle zu spielen.
    Wäre nur.
    Der Jäger klappte den Deckel über diesen verfluchten Worten zu und legte das Buch auf die Kohlen.
    Flammen züngelten an den Rändern, tanzten wie Geister vor seinen Augen.
     
    Die Trommler gaben den Rhythmus vor, während der Chor von Himmelsdrachen zu singen begann und die große Halle mit himmlischer Musik erfüllt wurde. Jandra zitterte vor Aufregung, als die Zeremonie begann. Sie war jetzt sechzehn, und es war das erste Mal, dass sie Vendevorex hatte überreden können, sie zu diesem Wettbewerb mitzunehmen. Seit Jahrhunderten wurde dieses Ritual als erster
Schritt angewandt, wenn die Sonnendrachen einen neuen Herrscher auf den Thron setzen wollten. Sie würde der erste Mensch sein, der diese Zeremonie miterlebte.
    Oder genauer, verbesserte sie sich, sie würde der erste Mensch sein, der diese Zeremonie miterlebte und überlebte. Sie warf einen Blick zu den beiden menschlichen Sklaven in ihren Käfigen auf der anderen Seite des Raums. Sie wusste, dass sie voller Mitgefühl für sie sein sollte. Aber es war schwierig, eine Verbindung zu den Männern mit dem dumpfsinnigen, wilden Blick in den Käfigen herzustellen. Jandra, die ein blaues Satinkleid und eine kunstvolle Kopfbedeckung aus Pfauenfedern trug, fühlte sich mehr mit den Drachen verwandt, von denen sie umgeben war.
    Sie saß neben Vendevorex, ihrem Mentor. Als Himmelsdrache und Zauberer des Königs galt Vendevorex weithin als der klügste Drache im Königreich, weshalb man den exotischen Eigenheiten seiner Persönlichkeit mit einiger Nachsicht begegnete. Jandra war eine dieser Eigenheiten. Sie war seit ihrer Kindheit von Vendevorex aufgezogen worden und wurde jetzt von ihm als Schülerin unterrichtet.
    Jandra sah sich in der großen Halle um, musterte die Augen der versammelten Drachen. Sie alle blickten sie mit Geringschätzung an, von den niedersten muskulösen Erddrachen bis hin zu den höchsten der gelehrten Himmelsdrachen, die auf ihren eleganten Seidenmatten in der riesigen Kammer saßen.
    Nur die gewaltigen Sonnendrachen blickten nicht voller Verachtung zu ihr hin, denn sie sahen sie überhaupt nicht an.

    Die Sonnendrachen waren der Adel der Drachengesellschaft. Doppelt so groß wie die Himmelsdrachen, herrschten sie über die Welt mit hoch in die königliche Luft erhobenen Köpfen, etwas, das durch und durch natürlich bei ihnen wirkte. Die Schuppen der Sonnendrachen waren von glühendem Rot, das an den Spitzen ins Orange spielte. Weiße, hauchfeine Federn säumten ihre Schnauzen und
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