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Die Herren des Nordens

Titel: Die Herren des Nordens
Autoren: Bernard Cornwell
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in Wirklichkeit?»
    «Wir natürlich», sagte er und meinte die Dänen. Die Dänen setzten in den Ländern, die sie erobert hatten, oft einen gefügigen
     Sachsen auf den Thron, und Egbert, wer immer er auch war, zählte bestimmt zu den Königen, die an der dänischen Leine lagen.
     Damit verlieh er der dänischen Besatzung einen Anstrich von Gesetzmäßigkeit, doch der wahre Herrscher war Graf Ivarr, der
     Däne, der über das meiste Land im Umkreis der Stadt gebot. «Es ist Ivarr Ivarson», erklärte mir Thorkild, und aus seiner Stimme
     klang Stolz, «und sein Vater war Ivar Lothbrokson.»
    «Ich kenne Ivar Lothbrokson», sagte ich.
    Ich bezweifle, dass mir Thorkild glaubte, aber es stimmte. Ivar Lothbrokson war ein gefürchteter Kriegsherr gewesen, mager
     wie ein Gerippe, wild und schreckenerregend, doch er war auch ein Freund Graf Ragnars, der mich aufgezogen hatte. Ivars Bruder
     hieß Ubba, und ihn hatte ich an einem Strand getötet. «Ivarr ist die wahre Macht in Northumbrien», erklärte mir Thorkild,
     «nur nicht im Tal des Wiire. Dort regiert Kjartan.» Als er Kjartans Namen aussprach, berührte Thorkild sein Hammeramulett.
     «Er wird jetzt Kjartan der Grausame genannt», fügte er hinzu, «und sein Sohn ist noch schlimmer.»
    «Sven», knurrte ich missmutig. Ich kannte Kjartan und Sven. Sie waren meine Feinde.
    «Sven der Einäugige», sagte Thorkild, zog eine Grimasse und berührte erneut sein Amulett, als wollte er damit das Böse der
     Namen abwehren, die er eben in den Mund genommen hatte. «Und nördlich von ihnen», sprach er weiter, «herrscht Ælfric von Bebbanburg.»
    Auch ihn kannte ich. Ælfric von Bebbanburg war mein |22| Onkel, und er hatte mein Land gestohlen, doch ich tat so, als hätte ich den Namen noch nie gehört. «Ælfric?», fragte ich,
     «noch ein Sachse?»
    «Ein Sachse», bestätigte Thorkild, «aber seine Festung ist zu mächtig. Wir können sie nicht einnehmen», fügte er hinzu, um
     zu erklären, weshalb es einem sächsischen Herren gestattet wurde, in Northumbrien zu bleiben, «und er tut nichts, um uns zu
     reizen.»
    «Dann ist er ein Dänenfreund?»
    «Jedenfalls kein Feind», sagte Thorkild. «Das sind also die drei großen Herren, Ivarr, Kjartan und Ælfric. Aber hinter den
     Hügeln in Cumbrien? Kein Mensch weiß, was dort vor sich geht.» Er sprach von der Westküste Northumbriens, die an der irischen
     See lag. «In Cumbrien regierte ein mächtiger Däne», fuhr er fort, «er hieß Hardnicut, aber ich habe gehört, dass er bei einem
     kleinen Gefecht umgekommen ist. Und jetzt?» Er zuckte die Schultern.
    Das also war Northumbrien, ein Königreich mit verfeindeten Grundherren, von denen keiner einen Anlass hatte, mich zu mögen,
     und von denen mich zwei am liebsten tot sehen wollten. Und doch war es meine Heimat, und ich hatte dort eine Pflicht zu erfüllen,
     und deshalb folgte ich dem Weg des Schwertes.
    Es war die Pflicht der Blutfehde. Die Fehde hatte vor fünf Jahren begonnen, als Kjartan und seine Männer nachts in Graf Ragnars
     Palas gekommen waren. Sie hatten den Palas niedergebrannt und alle umgebracht, die versucht hatten, den Flammen zu entkommen.
     Ragnar hatte mich großgezogen, ich hatte ihn wie einen Vater geliebt, und der Mord an ihm war ungesühnt. Er hatte einen Sohn,
     dessen Name ebenfalls Ragnar lautete, er war mein Freund, doch Ragnar der Jüngere konnte keine Rache nehmen, denn er wurde
     als Geisel in Wessex festgehalten. Also würde ich |23| nach Norden gehen, und ich würde Kjartan finden, und ich würde ihn töten. Und seinen Sohn, Sven den Einäugigen, würde ich
     auch töten, weil er Ragnars Tochter gefangen genommen hatte. Lebte Thyra noch? Ich wusste es nicht. Ich wusste nur, dass ich
     geschworen hatte, den Tod Ragnars des Älteren zu rächen. Manchmal, während ich mich in Thorkilds Ruder legte, dachte ich,
     wie närrisch ich war, nach Hause zu gehen, denn in Northumbrien wimmelte es von meinen Feinden, aber das Schicksal trieb mich
     voran, und als wir endlich in die weite Mündung des Humber einfuhren, war meine Kehle wie zugeschnürt.
    Durch den dichten Regen war nichts zu erkennen als ein flaches, schlammiges Ufer und Weidenzweige, die in den Untiefen verborgene
     Wasserläufe anzeigten, und dichte Teppiche von Fingertang und Blasenalgen, die in dem grauen Wasser trieben, aber das war
     der Fluss, der nach Northumbrien floss, und ich wusste in diesem Moment, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte.
     Hier war
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