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Die Herren des Nordens

Titel: Die Herren des Nordens
Autoren: Bernard Cornwell
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niedrigen Hügel gebracht, der von Schafen abgeweidet worden war und auf dem mächtige
     graue Felsblöcke lagen, die weiß schimmerten, wenn der Mond hinter den dichten Wolken hervorkam. Ich hockte mich neben einen
     dieser riesigen Steine, und Hild kniete neben mir.
    Zu dieser Zeit war sie meine Frau. Früher hatte sie als Nonne in Cippanhamm gelebt, aber dann hatten die Dänen die Stadt eingenommen
     und sie zur Hure gemacht. Und nun war sie mit mir zusammen. Manchmal hörte ich sie nachts beten. Ihre Gebete bestanden bloß
     aus Tränen und Verzweiflung, und ich vermutete, sie würde schließlich zu ihrem Gott zurückkehren, doch im Moment war ich ihre
     Zuflucht. «Warum warten wir noch?», fragte sie.
    Ich legte einen Finger auf meine Lippen, damit sie schwieg. Sie beobachtete mich. Ihr Gesicht war lang und schmal, mit großen
     Augen, und unter einem abgetragenen Tuch verbarg sie goldglänzendes Haar. Ich hielt es für eine Verschwendung, dass sie Nonne
     war. Alfred dagegen wollte sie zurück im Kloster wissen. Und genau deshalb ließ ich sie bei mir bleiben. Um ihn zu ärgern.
     Den Bastard.
    Ich wartete, um sicher zu sein, dass uns niemand sah. Aber das war unwahrscheinlich, weil die Leute sich nachts nicht gerne
     herauswagen, denn in der Finsternis treiben schreckliche Erscheinungen ihr Unwesen. Hild klammerte sich an ihr Kruzifix, aber
     ich fühlte mich wohl im Dunkeln. Schon als Kind hatte ich gelernt, die Nacht zu lieben. Ich war ein Sceadugengan, ein Schattenwandler,
     eine von den Kreaturen, vor denen sich andere fürchteten.
    Ich wartete lange, bis ich ganz sicher war, dass sich außer uns niemand auf der Hügelkuppe befand. Dann zog ich Wespenstachel,
     mein Kurzschwert, und stach eine eckige Grassode aus, die ich neben mich legte. Darauf |17| grub ich mich tiefer in den Grund und häufte die lose Erde auf meinen Umhang. Immer wieder kratzte die Klinge an Kalkschichten
     und Flintstein, und ich wusste, dass sie davon schartig wurde, aber ich machte trotzdem weiter, bis ich eine Grube ausgehoben
     hatte, in der man ein Kind hätte beerdigen können. Wir legten die beiden Taschen hinein. Das war mein Hort. Mein Silber und
     mein Gold, mein Vermögen, und ich wollte mich nicht mit ihm belasten. Ich besaß Fifhaden, zwei Schwerter, ein Kettenhemd,
     einen Schild, einen Helm, ein Pferd und eine magere Nonne, aber ich hatte keine Männer, um einen Hort zu bewachen, und deshalb
     musste ich ihn verstecken. Ich behielt nur ein paar Silbermünzen, und den ganzen Rest vertraute ich der Erde an. Danach bedeckten
     wir den Hort mit Sand, stampften den Boden fest und legten die Sode wieder an ihren Platz. Ich wartete, bis der Mond hinter
     einer Wolke hervorkam, betrachtete die Grassode, dachte, niemand würde bemerken, dass hier etwas verändert worden war, und
     prägte mir die Stelle ein, indem ich mir die Lage der Felsblöcke in der Nähe merkte. Eines Tages, wenn ich die Mittel hätte,
     diesen Schatz zu verteidigen, würde ich zurückkommen und ihn holen. Hild starrte auf das Grab des Hortes. «Alfred sagt, du
     musst hierbleiben», meinte sie.
    «Alfred soll seine Pisse trinken», sagte ich, «und ich hoffe, der Bastard erstickt dran.» Aber er würde wahrscheinlich auch
     so bald genug sterben, denn Alfred war ein kranker Mann. Er war erst neunundzwanzig Jahre alt, acht Jahre älter, als ich es
     war, doch er sah fast wie fünfzig aus, und keiner von uns gab ihm noch mehr als zwei oder drei Jahre. Immerzu jammerte er
     über seine Bauchschmerzen, rannte zum Scheißloch oder zitterte im Fieber.
    Hild legte ihre Hand auf die Grassode, unter der ich den |18| Hort vergraben hatte. «Bedeutet das, dass wir nach Wessex zurückkehren werden?», fragte sie.
    «Es bedeutet», sagte ich, «dass kein Mann mit seinem Hort reist, wenn Feinde in der Nähe sind. Hier ist er sicherer, und wenn
     wir überleben, kommen wir und holen ihn. Und wenn ich sterbe, dann holst du ihn.» Sie erwiderte nichts, und wir trugen die
     restliche Erde, die noch auf dem Umhang lag, zum Fluss und kippten sie ins Wasser.
    Am nächsten Morgen stiegen wir auf die Pferde und ritten nach Osten. Wir wollten nach Lundene, denn in Lundene nehmen alle
     Straßen ihren Anfang. Es war das Schicksal, das meinen Weg bestimmte. Es war das Jahr 878, ich war einundzwanzig Jahre alt,
     und ich glaubte, mit meinen Schwertern die ganze Welt erobern zu können. Ich war Uhtred von Bebbanburg, der Mann, der an einem
     Meeresstrand Ubba Lothbrokson getötet
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