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Die Henkerstochter und der schwarze M�nch

Titel: Die Henkerstochter und der schwarze M�nch
Autoren: Oliver P�tzsch
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Mesner und die Haushälterin berichtet hatten.
    »Es ist wohl besser, wenn Ihr mir zunächst ins Pfarrhaus folgt«, endete er schließlich und ging auf den Eingang zu. »Vielleicht habe ich etwas übersehen.«
    Als sie das Portal passierten, sah Simon Jakob Kuisl fragend von der Seite an.
    »Wie seid Ihr überhaupt hineingekommen in die Kirche? Ich meine, ich hab doch den Schlüssel ... «
    Der Henker hielt ihm grinsend einen verbogenen Zimmermannsnagel entgegen. »Diese Kirchentüren sind wie Vorhänge. Kein Wunder, dass so viele Opferstockräuber in der Gegend herumlaufen. Die Schwarzkittel könnten ihre Kirchen auch gleich ganz auflassen.«
    Drüben angekommen, führte Simon den Henker in die Stube und deutete auf die zwei glasierten Schmalznudeln und das Erbrochene am Boden.
    »Es müssen ungefähr ein halbes Dutzend dieser Nudeln gewesen sein«, sagte der Medicus. »Alle mit Honig bestrichen.Die Magd meint allerdings, sie hätte keinen draufgetan.«
    Jakob Kuisl nahm vorsichtig ein Stück Backwerk in seine gewaltigen Pranken und roch daran. Dabei schloss er die Augen, während die mächtigen Nüstern sich wie bei einem Pferd blähten. Es sah aus, als wollte er die Nudel mit der Nase einsaugen. Schließlich legte er sie weg, kniete nieder und schnüffelte an dem Haufen Erbrochenem. Simon spürte, wie ihm allmählich übel wurde. In der Kammer lag ein Geruch von Rauch, ätzender Säure und Verwesung. Und etwas anderem, das der Medicus nicht genau einordnen konnte.
    »Was ... was macht Ihr da?«, fragte Simon.
    Der Henker richtete sich auf.
    »Auf die kann ich mich immer noch verlassen«, sagte er und tippte auf seine rotgeäderte Hakennase. »Jede noch so kleine Krankheit riech ich dir aus einem verschissenen Nachttopf heraus. Und diese Lache hier stinkt nach Tod. Die Nudel genauso.«
    Er nahm das Teigstück noch einmal in die Hand und fing an, es zu zerpflücken. »Das Gift ist im Honig«, murmelte er nach einiger Zeit. »Er riecht nach ... « Er hob ein Stück der Nudel an seine Nase, schließlich grinste er. »Mäuseharn. Wie ich’s mir gedacht hab.«
    »Mäuseharn?«, fragte Simon irritiert.
    Jakob Kuisl nickte. »Schierling riecht so. Eine der stärksten Giftpflanzen hier im Pfaffenwinkel. Die Starre kriecht ganz langsam von deinen Füßen hoch bis hinauf ins Herz. Kannst dir selbst beim Sterben zusehen.«
    Simon schüttelte entsetzt den Kopf.
    »Welcher Satan denkt sich so etwas aus? Das kann doch keiner aus dem Dorf gewesen sein, oder? Irgendein eifersüchtiger Handwerksgeselle hätte den Koppmeyer doch einfach mit einem Knüppel von hinten totgeschlagen. Aber so etwas!«
    Gedankenverloren saugte der Henker an seiner kaltenPfeife. Dann verließ er abrupt die warme Stube und ging vor die Tür.
    »Wo wollt Ihr hin?«, rief ihm Simon hinterher.
    »Ich schau mir den toten Pfaffen mal genauer an«, brummte Jakob Kuisl von draußen. »Irgendwas stimmt hier nicht.«
    Simon musste unwillkürlich grinsen. Der Henker hatte Blut geleckt. Wenn sein Verstand erst mal geweckt war, lief er so präzise wie eine Nürnberger Taschenuhr.
    Zurück in der Kirche, beugte sich Jakob Kuisl über die Leiche und musterte sie eingehend. Ohne den toten Körper zu berühren, ging er um ihn herum, als studiere er genau dessen Position. Andreas Koppmeyer ruhte noch immer wie heute früh auf der Grabplatte, die das verblichene Antlitz einer Gottesmutter mit Heiligenschein zeigte. Das Haar des Pfarrers war weiß von Eiskristallen; er lag verkrümmt auf der Seite, so dass nur sein Profil zu sehen war. Die Gesichtshaut hatte mittlerweile die Farbe eines gefrorenen Karpfens. Der linke Arm war am Körper angewinkelt, die rechte Hand schien auf die Inschrift oberhalb der Madonna zu deuten.
    »Sic transit gloria mundi«, murmelte der Henker. »So vergeht der Ruhm der Welt …«
    »Er hat den Spruch sogar umrahmt. Seht selbst!«, sagte Simon und deutete auf einen zittrigen Kringel um die Inschrift. Die Linie war fahrig, so als hätte Koppmeyer sie mit letzter Kraft ins Eis gemalt.
    »Er war sich wohl im Klaren darüber, dass es mit ihm zu Ende ging«, sinnierte der Medicus. »Der alte Koppmeyer hatte immer schon einen Sinn für Humor, das muss man ihm lassen.«
    Der Henker beugte sich hinunter und strich über das steinerne Relief Marias, über deren Haupt ein strahlenförmiger Heiligenschein thronte.
    »Eins wundert mich«, murmelte er. » Das hier ist doch eine Grabplatte, nicht wahr?«
    Simon nickte. »Die ganze Lorenzkirche ist voll davon.
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