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Die Henkerstochter und der schwarze M�nch

Titel: Die Henkerstochter und der schwarze M�nch
Autoren: Oliver P�tzsch
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wanderten über den Herd und blieben an einem großen Fleischermesser hängen. Er griff nach dem Messer, es fühlte sich kalt und schwer an. Dann begab er sich nach draußen.
    Die Spuren waren eindeutig die eines großen Mannes, und sie führten von der Allee direkt in die Kirche. Simon tastete sich leise durch den Schnee, das Messer wie einen Säbel vor sich haltend, bis er das Portal erreicht hatte. Von hier draußen war im Dunkel der Kirche nichts zu erkennen. Er nahm seinen ganzen Mut zusammen und betrat das Innere.
    Weiter hinten lag immer noch der tote Pfarrer. Ein blutender Jesus am Kreuz glotzte Simon von jenseits der Apsis aus vorwurfsvoll an, an den Seiten standen in Nischen kleine Holzfiguren von Märtyrern, verdreht in ihrem Todeskampf. Es waren Figuren von gemarterten, erschlagenen und durchbohrten Kreaturen, wie der heilige Sebastian links von Simon, den sechs Armbrustbolzen durchlöchert hatten.
    Auf den Baugerüsten, die bis zur Galerie hinaufragten, glitzerte der Raureif. Simon machte einen weiteren Schritt nach vorne, als er hörte, wie jemand laut ausspuckte. Mit dem Messer in der Hand drehte der Medicus sich hektisch suchend um und musterte die Schatten, die die Märtyrer an die Wand warfen.
    »Schmeiß das Messer weg, bevor du dir weh tust, Quacksalber«, knurrte es von irgendwoher. »Und hör auf, wie ein Dieb durch die Kirche zu schleichen. Wärst nicht der erste Opferstockräuber, den ich aufhäng.«
    Die Stimme schien von oben aus der Galerie zu kommen. Als Simon hochblickte, sah er hinter der morschen Balustrade eine große, vermummte Gestalt stehen. Der Mantelkragen war nach oben geklappt, ein Schlapphut hing ihr tief ins Gesicht, so dass nur das Ende einer gewaltigen Hakennasezu sehen war. Kleine Rauchwölkchen stiegen auf, als die Gestalt an einer langstieligen Tonpfeife zog. Zwischen Hut und einem zerzausten schwarzen Bart leuchteten zwei wache Augen, die spöttisch auf Simon hinunterblickten.
    »Mein Gott, Kuisl! «, rief Simon erleichtert. »Ihr habt mir einen Schrecken eingejagt!«
    »Wennst das nächste Mal durch einen Raum schleichst, dann schau gefälligst nach oben«, schimpfte der Henker, während er sich an einer Gerüststange hinunterschwang. »Sonst springt dir dein Mörder ins Kreuz, und aus ist’s mit dem gelehrten Doktorenleben.«
    Unten angekommen, klopfte Jakob Kuisl sich den Mörtelstaub vom löchrigen Mantel und schnaubte verächtlich durch die Nase. Mit dem Pfeifenstiel deutete er auf die Leiche des Pfarrers.
    »Ein fetter Pfaffe, der sich tot gefressen hat ... Und darum schickst du nach mir? Als Henker und Abdecker bin ich zwar für die toten Viecher zuständig, aber die toten Pfaffen, die gehen mich nichts an.«
    »Ich glaube, er ist vergiftet worden«, sagte Simon leise.
    Der Henker pfiff durch die Zähne. »Vergiftet? Und jetzt glaubst du, ich kann dir sagen, was für ein Gift es war?«
    Simon nickte. Der Schongauer Scharfrichter galt in weiten Kreisen als Meister seines Faches, nicht nur am Schwert, sondern auch in der Lehre der Heilkräuter und Giftpflanzen. Ob es nun ein Sud aus Mutterkorn und Gartenraute bei unwillkommenen Schwangerschaften war, ein paar gedrehte Pillen gegen Verstopfung oder ein Schlaftrunk aus Mohn und Baldrian – viele einfache Leute gingen bei einer Krankheit lieber zum Henker als zum Medicus. Es war billiger, und man kam nicht kränker raus, als man hineingegangen war. Schon oft hatte Simon den Scharfrichter bei Arzneien und rätselhaften Krankheiten um Rat gefragt, sehr zum Leidwesen seines Vaters.
    »Könnt Ihr ihn Euch nicht ein wenig näher ansehen?«,bat Simon und deutete auf den steifgefrorenen Pfarrer. »Vielleicht finden wir einen Hinweis auf den Mörder.«
    Jakob Kuisl zuckte mit den Schultern. »Wüsst nicht, was das bringen sollte. Aber meinethalben, weil ich schon mal da bin ... « Er zog tief den Rauch aus seiner Pfeife ein. Neugierig musterten seine Augen die Leiche auf dem Kirchenboden. Dann beugte er sich hinunter und untersuchte den toten Pfarrer oberflächlich. »Kein Blut, keine Würgemale, keine Spuren von Kampf«, murmelte er und strich über die Kleidung Koppmeyers, an der sich gefrorene Reste von Erbrochenem fanden. »Warum glaubst du denn, dass er vergiftet worden ist?«
    Simon räusperte sich. »Schmalznudeln ...«, begann er. »Die Schmalznudeln?« Die buschigen Augenbrauen des Henkers zogen sich fragend nach oben.
    Der Medicus zuckte mit den Schultern. Dann erzählte er Jakob Kuisl in aller Kürze, was ihm der
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