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Die Heilerin des Sultans

Die Heilerin des Sultans

Titel: Die Heilerin des Sultans
Autoren: Silvia Stolzenburg
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hünenhaften Wuchs und den dunklen Zügen
von seinem Vater geerbt hatte, dachte er wehmütig, während
sich die erste Träne aus seinen Wimpern löste. Auch dieser
hatte die Vertrautheit des Stalles gesucht, wann immer er über
etwas hatte nachdenken müssen. Die Schwermut schnürte ihm
die Luft ab. Wie oft hatte er sich als Knabe hinter seinem Vater in
die Sattelgasse geschlichen, um ihm in diesen einsamen Stunden
Gesellschaft zu leisten – auch wenn dieser nichts davon gewusst
hatte. Wütend über die eigene Schwäche fuhr er sich
mit dem Handrücken über die Augen und biss die Zähne
aufeinander. Warum hatte Otto von Katzenstein die Wunde wieder
aufreißen müssen?, dachte er aufgebracht. Denn wenngleich
er den etwas spröde wirkenden Ritter bewunderte und sich
wünschte, einen bleibenden Eindruck bei ihm hinterlassen zu
haben, hegte er im Moment einen beträchtlichen Groll gegen ihn.
Er nestelte fahrig an einem lose von seinem Hemd herabhängenden
Faden, den er sich geistesabwesend um den Zeigefinger wickelte.
Nachdem er sich endlich dazu durchgerungen hatte, das zwar angenehme
aber eher langweilige Leben eines Pferdehändlers zu führen,
musste ausgerechnet der Halbbruder seines Vaters auftauchen und
seinen Entschluss ins Wanken bringen! War es nicht schwierig genug
gewesen, die Ausbildung zum Steinmetz unabgeschlossen an den Nagel zu
hängen? Hatte er nicht genug Talent besessen, um Bildhauer zu
werden? Der Faden schnürte ihm das Blut im Finger ab, und so
befreite er ihn hastig von der selbst angelegten Fessel, biss den
Faden ab und spuckte ihn ins Stroh.
        Er
ließ frustriert die Luft durch die Nase entweichen. Wie sollte
er die in seinem Herzen brennende Abenteuerlust auslöschen? War
es nicht auch ein Abenteuer, die Zucht, welche sein Vater so mühsam
neben der Tätigkeit als Steinmetz aufgebaut und gepflegt hatte,
zu erweitern und zu verbessern? Das verhaltene Wiehern einer Stute
ließ ihn aufblicken, und er schüttelte den Kopf. Es hatte
keinen Sinn, sich zu belügen. Nach wie vor würde er alles
dafür geben, in die Welt zu ziehen und wie sein Vater und
Großvater, Ulrich von Ensingen, auf Baustellen in aller Herren
Länder zu arbeiten. An Bauwerken von solcher Erhabenheit und
Schönheit mitzuwirken, dass die Menschen in tausend Jahren noch
von Ehrfurcht ergriffen würden. Ein Stachel bohrte sich in sein
Herz, als er an das Ulmer Münster dachte. Wenn er doch nur ein
Teil dieses Vorhabens sein könnte! Warum sollte es ihm nicht
auch gelingen, Zucht und Handwerk miteinander zu verbinden? Er stieß
einen tiefen Seufzer aus. Lutz hatte gut reden. Wo hörte die
Pflicht, sein eigenes Leben zu führen, auf und wo begann die
Todsünde der Eitelkeit und des Stolzes? Lange Zeit starrte er in
dumpfem Brüten vor sich hin, bis das einsetzende Gezwitscher der
Vögel die nahende Dämmerung verkündete. Warum nur
herrschte solch ein Durcheinander in ihm? Wie konnte er sicher sein,
keinen Fehler zu begehen? Einerseits schien die Jenseitsstrafe seiner
Eltern ihn dazu zu verpflichten, ein Leben in Andacht und Buße
zu führen; andererseits schien das, was sein Vater zu Lebzeiten
geschaffen hatte, ihn dazu zu zwingen, diesen Reichtum zu mehren. Und
zu guter Letzt schien es, als sei das Auftauchen Otto von
Katzensteins als Hinweis zu deuten, dass das Leben ihm mehr zu bieten
hatte. Er senkte den immer noch schmerzenden Kopf. Eines war ihm in
den langen Stunden des Grübelns klar geworden. Er war an einem
Scheideweg angekommen. Und dieses Mal war er auf sich allein
gestellt. Seit der Vollendung seines fünfzehnten Lebensjahres
war er ein Mann, und als solcher musste er seine Entscheidungen ohne
die Hilfe treffen, die Lutz ihm stets so bereitwillig angeboten
hatte. Dieses Mal würde ihm niemand einflüstern, welcher
Weg der richtige war. Als das Klappern von Werkzeugen verkündete,
dass die Knechte und Mägde ihr Tagwerk begonnen hatten, reckte
er die steifen Glieder, straffte die Schultern und verließ
seinen Zufluchtsort. Es half alles nichts: Vor den Anforderungen des
Lebens konnte er nicht davonlaufen! Nachdem er einige verirrte
Strohhalme aus dem Stoff seines Mantels gezupft hatte, setzte er ein
gezwungenes Lächeln auf, griff nach einer Heugabel und tat so,
als sei er vor allen anderen aufgestanden, um die Futterkrippen zu
füllen.

Kapitel 3
     
    Bursa,
Frühjahr 1400
     
    Heute war
der große Tag. Mit vor Aufregung zitternden Händen zupfte
die dreizehnjährige Sapphira den Schleier auf ihrem Haar zurecht
und
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