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Die Heilerin des Sultans

Die Heilerin des Sultans

Titel: Die Heilerin des Sultans
Autoren: Silvia Stolzenburg
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verborgene
Wesen eines Gegenübers zu offenbaren. Wenngleich nicht bei
allen, erschien es oft als wären die Menschen mit einer Farbe
umgeben; ein Eindruck, der allerdings sofort verblasste, sobald sie
genauer hinsah – beinahe als spielten ihre Sinne ihr einen
Streich. Mit schwerem Herzen drückte sie die pergamentartige
Haut des Kranken an ihre Wange, während ihr Geist mit dem seinen
sprach. Ohne ein einziges Wort zu verlieren, teilte sie ihm die
Trauer mit, die sie erfüllte, während sie im Gegenzug die
Gelassenheit empfing, mit der er seiner Reise in die jenseitige Welt
entgegensah.
        Während
sie noch in diesem inneren Dialog gefangen war, sah sie das schwache
Azurblau, das sie stets um ihn herum wahrgenommen hatte, ein letztes
Mal aufleuchten, bevor es verblasste und sein Puls aufhörte zu
schlagen. »Geh in Frieden«, flüsterte sie erstickt
und rang das Gefühl des Verlustes nieder. Er hatte ein erfülltes
Leben geführt, und als guter Mensch würde er sicherlich
auch als Falschgläubiger in das Reich Gottes eingehen, dachte
sie. Nachdem sie noch eine Zeit lang an seiner Seite verweilt hatte,
erhob sie sich, strich ihm die federdünnen Haare aus der Stirn
und verließ die Kammer. Um bereits im Nebenraum gegen eine Wand
aus pulsierender Macht zu prallen. Beinahe greifbar hing die
bedrohliche Gegenwart in der Luft, und ohne ihn zu sehen, wusste sie,
dass der Kizlar Agha eingetroffen war, um seinen Kauf abzuholen. Mit eingezogenem Kopf
duckte sie sich durch den niedrigen Durchgang und fror in der
Bewegung ein, als sie den riesenhaften, in Prunkgewänder
gehüllten Mann erblickte, der soeben von einem männlichen
Bediensteten hereingeführt wurde. Schwarz und schimmernd wie das
Fell eines Panthers spannte sich die eingeölte Haut des Eunuchen
über kühn hervortretende Wangenknochen, deren Schwung dem
der leicht gebogenen Nase in nichts nachstand. »Ist sie das?«,
fragte er herrisch; und als Zehra stumm nickte, trat er auf das
Mädchen zu und packte es grob an den Oberarmen. Wie eiserne
Zwingen schlossen sich seine Pranken um sie. Schwer und erstickend
hüllte sie der von ihm ausströmende Opiumduft ein und
unwillkürlich wollte sie einen Schritt vor ihm zurückweichen.
Sie hatte den Mund bereits zu einem Protestlaut geöffnet, als er
sie ohne Kommentar wieder losließ. Glühenden Kohlen gleich
wanderten seine leicht mandelförmigen Augen über ihr
Gesicht, an ihrer Vorderseite hinab bis zu ihren Zehen, die unter dem
Saum der Hirka hervorlugten.
»Der Padischah wird
zufrieden sein«, stieß er in einer nicht zu seiner
Erscheinung passenden Fistelstimme hervor, die Sapphira einen Schauer
über den Rücken jagte. »Bezahl den Mann«, wies
er einen Kahlgeschorenen an, der sich mit einer Verneigung aus dem
Raum drückte, um das Geschäft mit dem Hekim zu besiegeln. Daraufhin
wandte er Zehra ohne weitere Höflichkeitsfloskeln den Rücken
und gab zwei jungen Burschen zu verstehen, Sapphira in ihre Mitte zu
nehmen.
        Hin
und her gerissen zwischen zurückkehrender Aufregung und der
allmählich in ihr aufsteigenden Furcht, schlug die junge Frau
die Augen nieder und folgte den beiden Sklaven hinaus in die Hitze
des Tages. Vor der Tür gab ihr der Kizlar
Agha zu verstehen, in eine
der bereitstehenden Sänften zu klettern, und während sie
mit weichen Knien dem Befehl Folge leistete, fragte sie sich, wer
sich wohl hinter den dichten Vorhängen der anderen beiden
Tragsessel verbarg. Diese wurden – genau wie der ihre –
von vier gut gebauten Dienern aufgenommen, und bevor die junge Frau
weiter darüber nachgrübeln konnte, schnitt ihr das fallende
Tuch die Sicht ab. Eingehüllt von künstlichem Dämmerlicht
empfand sie die schaukelnde Bewegung beinahe als angenehm; und
nachdem sich ihre anfängliche Versteifung gelöst hatte,
ließ sie sich behutsam nach hinten sinken. Mit heftig
klopfendem Herzen rückte sie die seidenen Kissen unter sich
zurecht, zog die Beine an den Körper und malte sich aus, wie sie
sich dem prächtigen Bayezid Yilderim zu Füßen werfen
würde. Schaudernd vor Ehrfurcht zupfte sie einige Strähnen
aus dem streng geflochtenen Zopf, der bis auf ihre Hüfte fiel,
und befeuchtete die Lippen. Hatte der Kizlar
Agha nicht deutlich gemacht,
dass der Sultan nach einer neuen Gespielin suchte? Was, wenn er sie
zu seiner Lieblingskonkubine machte, und sie ihm einen Sohn gebar?
Ihr Puls beschleunigte sich weiter. Einen Sohn, der vielleicht der
zukünftige Herrscher des Reiches werden würde? Sie
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