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Die Heilerin des Sultans

Die Heilerin des Sultans

Titel: Die Heilerin des Sultans
Autoren: Silvia Stolzenburg
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stieß einen leisen Schrei aus, als Zehra ihr eine kalte
Hand in den Nacken legte. »Du glühst, Kind«, sagte
die Schwester des Hekims – des Arztes, unter dessen Dach
sie die letzen drei Jahre als Helferin zugebracht hatte. »Hast
du Fieber?« Die Hoffnung, die in ihrer Stimme mitschwang, war
nicht zu überhören. »Wenn du krank bist, wird der
Eunuch jemand anderen auswählen müssen.« Die
kohlschwarzen Augen glänzten verdächtig, als sie dem jungen
Mädchen über die samtige Wange strich, die ebenso erhitzt
brannte wie seine Stirn. »Nein!«, protestierte ihre
zierliche Schutzbefohlene eifrig und griff nach dem mit einem
tropfenförmigen Edelstein verzierten Diadem, das ihr Herr, der Hekim , ihr zum Abschied geschenkt hatte. »Ich bin nur so
furchtbar aufgeregt!« Nervös trat sie von einem Bein auf
das andere, als Zehra ihr mit einem Seufzen in die blutrote Hirka half – den eng anliegenden, kurzen Rock, der durch seine
Schnürung ihre kleine, straffe Brust betonte. Wenngleich ihre
Haut zudem von einem Gömlek, einer Tunika aus feinstem
Leinen, bedeckt war, kam Sapphira sich beinahe nackt vor. Ohnehin
fühlten sich all die kostbaren, schmeichelnden Stoffe ungewohnt
an, da sie bisher die einfache Kleidung der Bediensteten getragen
hatte. »Was, wenn der Sultan mich erwählt?«, fragte
sie mit bebender Stimme. Allein die Vorstellung, dem mächtigsten
Mann der Welt, den die Osmanen den Schatten Gottes auf Erden nannten,
zu begegnen, machte sie schwindelig. »Dann wirst du Allah danken und alles tun, um dich der Ehre würdig zu erweisen«,
erwiderte Zehra mechanisch, während sie die hölzernen
Sandalen über Sapphiras senfgelben Strümpfen befestigte.
Nachdem sie den Sitz ein letztes Mal überprüft hatte, kam
sie schnaufend zurück auf die Beine und betrachtete ihr Werk.
»Wenn du doch nur hier bleiben könntest!«, platzte
es nach einigen schweren Atemzügen aus ihr heraus. Während
eine Träne über ihre faltige Wange kullerte, schloss sie
das Mädchen in die Arme, presste es an ihren üppigen Busen
und wiegte es einige Momente lang wie ein Kind. Dann ließ sie
von der jungen Frau ab, nahm ihre Hände in die ihren und küsste
ihre Fingerspitzen.
        »Geh
dich verabschieden«, sagte sie niedergeschlagen, da sie –
ebenso wie Sapphira – wusste, dass nichts den Hekim dazu bewegen würde, das
gewinnbringende Geschäft rückgängig zu machen. Dazu
hatte der Kizlar Agha ,
der oberste Hofeunuch, dem alten Heiler ein zu gutes Angebot gemacht.
Da das Sehvermögen des Arztes in den vergangenen Monaten mehr
und mehr geschwunden war, hatte er diese Gelegenheit beim Schopfe
packen müssen; auch wenn ihm die Trennung von dem jungen
Mädchen, das er beinahe wie eine Tochter behandelt hatte, so
sehr an die Nieren ging, dass er ihr bereits am Abend zuvor Lebewohl
gesagt hatte. Mit einem Mal ernst, verneigte sich Sapphira, bevor sie
sich auf die Zehenspitzen reckte, um Zehra einen flüchtigen Kuss
auf die Wange zu hauchen. »Du wirst mir fehlen«,
flüsterte sie und wandte sich hastig ab, um das zu tun, was sie
den gesamten Vormittag vor sich hergeschoben hatte. Mit gesenktem
Kopf huschte sie in den angrenzenden Raum, in dem neben Regenwürmern,
lebenden Schlangen, toten Seidenraupen und geriebenen Skarabäen
auch so alltägliche Dinge wie Honig, Wachs, Fenchel, Salbei und
Flohkraut aufbewahrt wurden. Ein letztes Mal sog sie das Gemisch aus
unterschiedlichen Gerüchen ein, bevor sie einen schweren Vorhang
zur Seite zog und eine Kammer betrat, in der ein entsetzlich
abgemagerter Greis auf einem Lager aus Fellen ruhte. Das Geräusch
seines rasselnden Atems ging beinahe unter in dem von der Straße
hereindringenden Lärm, und selbst die leicht qualmenden
Weihrauchlämpchen konnten den Geruch des Todes kaum überdecken.
Als sie sich dem alten Mann näherte, fuhr Sapphira ein Stich der
Trauer ins Herz, da sie mit einem Blick erkannte, dass er nicht mehr
lange zu leben hatte. »Ach, Yahya«, wisperte sie und ließ
sich ohne zu zögern auf der Bettkante nieder, um nach der
knochigen Hand des Greises zu greifen, der seit einigen Tagen im Haus
des Hekims untergebracht
war. Was sie schon gewusst hatte, bestätigte sich: Er starb.
Mühsam schluckte sie die Tränen, die drohten, die schwarze
Umrandung ihrer Augen zu verwischen, und versenkte sich in das, was
sie spürte. Seit ihrer frühesten Kindheit hatte sie nicht
nur die Gabe, die Empfindungen anderer zu fühlen als wären
es ihre eigenen. Ein Blick genügte, um ihr das meist
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