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Die Hebamme von Venedig

Die Hebamme von Venedig

Titel: Die Hebamme von Venedig
Autoren: Roberta Rich
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Körper des armen Teufels vom Achterdeck ins Meer beförderten. Er befestigte den kleinen Schatz innen am Bund seiner Hose, gleich neben seinem Schmekele. Mehr besaß er nicht mehr. Auch wenn er nichts über die Zucht der Seidenspinner wusste, so war ihm der Wert bedruckter Seide und die Verlockung, die sie für die wohlgeborenen Frauen Venedigs darstellte, doch sehr bewusst. Vielleicht würden ihm die Eier eines Tages auf seiner felsigen Insel in der Hand von Kriegermönchen noch einen Dienst erweisen.
    Der Auktionator musterte Isaak auf der Suche nach weiteren verkaufsfördernden Vorzügen, während der neben Isaak stehende Simón in der Hitze der Nachmittagssonne wankte. Da der Auktionator schon länger nichts mehr gesagt hatte, begann sich die Menge zu zerstreuen. Isaak konnte sich vorstellen, was den Mann verwirrte: Seine breite Brust war längst so abgemagert, dass seine Muskeln aussahen wie die eines gemalten Christus im letzten Stadium seines Verblutens, und seine ehedem geraden, starken Beine waren nicht dicker als die eines Tisches.
    Isaak flüsterte dem Auktionator ein paar Worte ins Ohr. Der Mann nickte und rief: »Dieser Sklave ist nicht nur ein Jude, sondern auch ein Gelehrter. Er kann lesen, schreiben und rechnen.«
    Der untersetzte Mann unterbrach ihn: »Wie soll ich wissen, dass er gelehrt ist, wenn er keinen Bart hat? Bezieht der Jude sein Wissen nicht von seinem haarigen Kinn?«
    Isaak hob den Kopf und vermochte ihm mit seiner vom langen Schweigen rauen Stimme zu erwidern: »Wenn Männer wegen ihres Bartes für weise erklärt werden, dann ist der Ziegenbock da drüben …«, er deutete mit dem Kinn zum Pferch mit dem Vieh auf der anderen Seite des Platzes hinüber, »der Weiseste von uns allen.«
    Er spürte, wie der Stecken des Auktionators die Rückseite seiner Beine traf, stolperte und wäre beinahe von der Plattform gestürzt. Lachen erklang aus der Menge.
    »Was hilft mir eine schlaue Zunge?«, sagte der Mann. »Ich brauche Sklaven für die Galeeren, die uns mit der Levante verbinden.«
    Und was hat mir meine schlaue Zunge schon je genutzt, dachte Isaak, abgesehen davon, dass sie mich in Schwierigkeiten gebracht hat? Fliegen sammelten sich um seine Augen, aber er brachte nicht den Willen auf, sie zu verscheuchen.
    Simón flüsterte ihm zu: »Bring den Mann nicht gegen dich auf. Er heißt Joseph und ist ein Judenfresser. Wenn die Galeeren hier wieder eintreffen, sind die Sklaven vor Hunger und Schlägen mehr tot als lebendig, und der Dreckskerl ersetzt sie mit frischen Männern und lässt die armen Teufel verrecken. Die Unteroffiziere suchen so verzweifelt nach Männern, dass sie jeden kaufen.«
    Gott würde verstehen, wenn ich mich umbrächte, dachte Isaak. Unter solchen Umständen ist es keine Verletzung des Gesetzes. Hatten sich die Juden Masadas nicht umgebracht, um den Römern den Spaß zu verderben? Aber dann musste er an Hannah denken. Hannah mit der schlanken Taille und den schwarzen Augen, die in Venedig auf ihn wartete. Er zwang sich, aufrechter zu stehen. Gott mochte es verstehen und ihm vergeben, wenn er sich in seiner Zelle aufhängte, Hannah würde es nicht tun. Isaak schob den Gedanken an Selbstmord beiseite, genau wie er es mit der Erinnerung an ihren Streit und ihren letzten trübseligen gemeinsamen Tag gemacht hatte. Solange sie sich liebten, reichte ihnen ein Bett von der Breite einer Weizengarbe, in jener letzten Nacht aber wären nicht mal sechzig Ellen genug gewesen.
    Der Klang einer groben Stimme holte ihn zurück in die Gegenwart. »Keine zehn Scudi würde ich für diesen haarlosen Juden zahlen«, rief Joseph dem Auktionator zu, »aber um meine Neugier zu befriedigen, Auktionator. Habt ihr ihm auch die Geschlechtsteile rasiert? Fehlt ihm da nicht nur die Vorhaut, sondern auch das Haar?« Die Menge brach in lautes Gelächter aus, und ermutigt fuhr der Mann fort: »Vielleicht ist er ja gar kein richtiger Jude, sondern ein Marrane aus Spanien, nach außen Christ, nach innen Jude, wie? Sag ihm, er soll die vollgeschissene Hose herunterlassen.«
    Wer Beleidigungen hinnimmt, lädt zu Verletzungen ein , erinnerte sich Isaak, dem das Blut ins Gesicht stieg. Wenn er nicht antwortete, würde die Menge bald schon mit einstimmen, und ehe er sich versah, würde er mit faulen Orangen, oder Schlimmerem, beworfen. Was für ein Gräuel, von einem ungebildeten Rüpel verspottet zu werden, der zweifellos statt seines Namens nur einen schmierigen Daumenabdruck aufs Papier zu setzen verstand
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