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Die Hebamme von Venedig

Die Hebamme von Venedig

Titel: Die Hebamme von Venedig
Autoren: Roberta Rich
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Zähne durchs Wasser, von denen jeder für einen der Sestieri, der Stadtteile, stand. Sie sprachen kein Wort. Das einzige Geräusch war das des Ruders im schwarzen Wasser, in dem sich kein Licht aus den Häusern des Cannaregio spiegelte.
    Sie erreichten den Canal Grande, und auch hier zischte und flackerte kaum eine Pechkiefernfackel auf den Anlegern der prächtigen Palazzi rechts und links. Der Mantel des Conte wog schwer auf ihren Schultern und wärmte sie nicht mehr als die Falle eines Jägers die in ihr gefangene Wachtel. Sie mühte sich, aufrecht zu sitzen, denn es würde ihr nicht helfen, wenn der Conte begriff, wie verängstigt sie war. Sie musste Selbstvertrauen ausstrahlen. Isaak hatte sie das gelehrt.
    War der Leib einer christlichen Adligen nicht genau wie der einer Jüdin? Bluteten Christinnen nicht genau wie Jüdinnen, stöhnten und litten nicht so unter ihren Wehen? Hatten sie nicht genauso enge Schöße, die ihre Leibesfrucht nicht preisgeben wollten, und versuchten mitunter nicht auch ihre Babys, den Po als Erstes ans Licht zu recken? Hannah hatte schon etliche unwillige Kinder aus halbtoten jüdischen Müttern herausgezogen und würde das Gleiche jetzt für eine Christin tun. Sie tat es für Isaak, riskierte, in einer nassfeuchten Zelle unter dem Dogenpalast zu landen und mitternächtlich von einem Folterer heimgesucht zu werden. Isaaks schönes Gesicht schien vor ihr auf, seine fein gebogene Nase und sein sinnlicher Mund.
    In der Kabine der Gondel, die sich wegen des Gewichts zur Seite neigte, sprach der Conte mit so leiser Stimme zu ihr, dass sie ihn bitten musste, es noch einmal zu wiederholen. »Meine Frau Lucia ist sehr schwächlich, seit Jahren schon spuckt sie Blut. Sie liegt nicht zum ersten Mal im Wochenbett, aber keines unserer Kinder hat am Ende überlebt.« Er betrachtete Hannah im Licht des Mondes, das durch einen Spalt im Vorhang fiel. »Sie ist jung, aber ich bin sicher, sie hat solche Fälle schon erlebt.«
    Hannah konnte kaum atmen. Der Conte schien alle Luft aus dem engen Raum um sie herum in sich hineinzusaugen und nichts für sie übrig zu lassen.
    »Ich werde mein Bestes tun.«
    »Das glaube ich sicher, meine Liebe. Wie die meisten Männer weiß ich nichts darüber, wie die Kinder ans Licht dieser Welt gelangen.« Er sah kurz in Richtung des Gondoliere, und seine Stimme bekam etwas Eindringliches: »Bitte, beherzige sie meine Worte: Wenn sie sich zwischen dem Leben meiner Frau und dem meines Kindes entscheiden muss, dann rette sie mein Kind.«
    Bevor sie es sich versagen konnte, entgegnete Hannah: »Aber jüdische Hebammen sind dazu ausgebildet, vor allem das Leben der Mutter zu schützen«, fügte jedoch, als sie sein beunruhigtes Gesicht sah, gleich noch hinzu: »Mit Gottes Hilfe werde ich eine solche Entscheidung nicht zu treffen haben.«
    »Ich liebe Lucia, aber gemäß dem Testament meines Vaters muss ich vor Vollendung meines fünfzigsten Lebensjahres einen Nachkommen haben, sonst geht der Familienbesitz in die Hände meines Bruders Jacopo über. Es ist die letzte Möglichkeit, denn im nächsten Monat ist es so weit, mein fünfzigster Geburtstag steht an.«
    Es war nicht das erste Mal, dass Hannah solche vertraulichen Geständnisse hörte. Werdende Väter waren nicht selten Opfer einer Melancholie, einer Mischung aus Angst und Verzweiflung, die sie Dinge enthüllen ließ, die eigentlich nicht für die Ohren von Fremden gedacht waren.
    »Jacopo und mein jüngerer Bruder Niccolò sind schwach, die beiden würden die Geschäfte der Familie ruinieren. Wenn der Besitz in ihre Hände fällt, ist das Ende der di Padovanis nicht mehr abzuwenden. Niccolò hat bereits ein kleines Vermögen verspielt, und Jacopo macht mir aus Gründen Sorgen, die ich mit keiner Frau besprechen kann.«
    Was hatten diese Enthüllungen zum Testament seines Vaters und die Geschäfte der Familie mit ihr zu tun? Matze-Teig ausrollen, das konnte sie, Babys auf die Welt bringen ebenfalls. Aber was wusste sie schon von den Erbschaftsangelegenheiten reicher Christen?
    Es wäre nicht besonders schön, ihm zu sagen, was jede Hebamme wusste: dass von fünf Babys, die geboren wurden, eines starb und von zehn Müttern eine die Geburt nicht überlebte und ihr Kind nicht stillen konnte. Genauso wenig wollte sie ihm von der Vorrichtung in der Tasche zu ihren Füßen erzählen, mit der sie diese traurigen Verhältnisse um einiges verbesserte.
    Eines Sabbats hatte sie Borschtsch zubereitet, der so heiß dampfte, dass
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