Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hebamme von Venedig

Die Hebamme von Venedig

Titel: Die Hebamme von Venedig
Autoren: Roberta Rich
Vom Netzwerk:
sich das Haar über ihrer Stirn kringelte. Sie hatte die große silberne Suppenkelle tief in die Terrine getaucht, woraufhin der geschwungene Griff so heiß wurde, dass sie ihn losließ und er in der Suppe verschwand. Darauf holte sie zwei Löffel aus dem Schrank, die Hände ganz verfärbt von der Roten Beete, und als sie damit nach der Kelle fischte, kam ihr eine Idee: Mit zwei Löffeln, die zu einer Art X verbunden waren, müsste man den Kopf eines Kindes leichter durch den Geburtskanal bekommen und so die Entbindung beschleunigen können.
    Sie zeichnete eine grobe Skizze, nach der sie den Silberschmied das Instrument anfertigen ließ. Die Enden mit den runden Vertiefungen wurden zu größeren Schalen, die Stiele waren weit länger als bei normalen Löffeln und in der Mitte durch ein Scharnier verbunden, so dass sich das Ganze wie eine Schere öffnen und schließen ließ. Erst hatte sie nur für sich damit geübt und Zwiebeln aus rohen Hühnern geholt, aber als sie schließlich dachte, genug Fertigkeit gewonnen zu haben, nahm sie die Geburtslöffel zur Arbeit mit, drapierte ein Laken über die Knie der Mutter, damit diese nichts sah, und verscheuchte alle anderen Frauen aus dem Raum. Hebammen waren schon wegen kleinerer Dinge als Hexen verbrannt worden, und sie wusste, sie musste vorsichtig sein.
    »Sie soll nicht denken, dass ich ein Mann ohne Gefühle bin«, sagte der Conte, »einer, der nur an seine Liegenschaften und seine Pferde denkt und wie viel Dukaten er mit seinen Geschäften verdienen kann.«
    »Ich weiß, dass Ihr Euch um Eure Frau sorgt, sonst hättet Ihr nicht das Risiko auf Euch genommen, zu mir zu kommen«, antwortete Hannah.
    Der Conte tätschelte ihr die Hand. »Mein Bruder war grob zu ihr, weil er Schulden bei den Geldverleihern hat. Jacopo ist verschwenderisch wie ein Färber.«
    Kurz darauf glitt die Gondel mit einem Knarzen und einem dumpfen Schlag an den Anleger eines Palazzos mit steinerner Fassade und Bogenfenstern, der an der letzten Biegung des Canal Grande lag und einen Blick auf den Campo San Samuele bot. Ein livrierter Diener auf dem Anleger fing die Leine des Gondoliere auf und legte sie um den Poller, der in den Farben der Familie gestrichen war, Gold und Grün. Der Conte half Hannah aus der Gondel und führte sie zum Haus. Ein Diener hielt ihnen die Tür auf und wünschte ihnen einen guten Abend. Hannah folgte dem Conte durch das Pianoterra, das Erdgeschoss, in dem die Geschäfte der Familie abgewickelt wurden. Den Holzkisten nach zu urteilen, lagerten hier alle möglichen Waren, es roch stark nach Kardamom, Zimt und frischer Wolle, und Hannah staunte nicht schlecht, wie viel Platz hier unten war. Das Gebäude schien die Grundfläche des gesamten Campo del Ghetto Nuovo zu haben.
    Sie versuchte mit dem Conte Schritt zu halten und warf einen besorgten Blick auf seinen großen Kopf. Wenn seine Frau klein und zierlich war, verhieß das nichts Gutes. Eine zarte Frau und ein kräftiger Mann in Kombination führten oft dazu, dass die Mutter ein Baby mit zu großem Kopf im Leibe trug, der nicht durch die Knochenpforte wollte.
    Bevor sie die große Eingangshalle erreichten, gab Hannah dem Conte seinen Mantel zurück und fühlte sich ohne das Gewicht auf den Schultern gleich viel leichter. Eine Dienerin kam ihnen entgegen und begrüßte sie. Das Haar klebte ihr auf der Stirn, und ihre Schürze war blutverschmiert.
    »Hannah, das ist unsere Hebamme Giovanna.«
    Hannah lächelte und nickte. Die Frau erwiderte ihren Gruß nicht.
    »Giovanna, das ist Hannah. Bring sie zur Contessa – und zu niemandem ein Wort darüber. Sie ist gekommen, um zu helfen«, sagte der Conte. »Gibt es etwas Neues?«
    »Ich glaube, Ihr müsst einen Priester rufen, Euer Hochwohlgeboren«, sagte Giovanna mit niedergeschlagenen Augen.
    Hannah wich zurück. Ein Priester würde an ihrem roten Schal und ihrer bescheidenen Kleidung gleich erkennen, dass sie Jüdin war. Wenn ein Geistlicher kam, durfte sie nicht mehr hier sein, oder ihre Verhaftung war so sicher, wie Blut nach unten floss.
    Zu ihrer Erleichterung erwiderte der Conte aber: »Erst wollen wir sehen, was Hannah für sie tun kann.« Er musste Hannahs Nervosität spüren, denn er sah sie an und sagte: »Mache sie sich keine Gedanken, sie bekommt ihre Chance, und jetzt geht schnell.«
    Giovanna machte einen Knicks und führte Hannah die breite Treppe hinauf. Die steinernen Wände strahlten eine kalte Feuchtigkeit aus, und die an die engen, wackligen Treppen des
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher