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Die Hebamme von Venedig

Die Hebamme von Venedig

Titel: Die Hebamme von Venedig
Autoren: Roberta Rich
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band sich einen Schal ums Haar und zog ihre dünnen Ledersandalen an. Jacopo und der Rabbi sahen ihr zu. Der Rabbi schwieg, aber sein schwächlicher alter Körper bebte vor Wut.
    »Bringt mich zu Eurer Frau«, sagte Hannah zum Conte.
    Eilig sammelte sie ihre Ausrüstung zusammen, eine Schürze, ein Eisenmesser, saubere Gaze, Verbandsstoff, medizinische Kräuter und ein Silberamulett, das den Schaddai, den Allmächtigen, verkörperte, mit dem Stern Davids. Es wurde über die Wiege von Neugeborenen gehängt. Hoffentlich ist es noch nicht zu spät. Hoffentlich werde ich dieses Amulett heute Nacht brauchen . Sie packte alles in eine Tasche aus ungebleichtem Leinen, doch bevor sie das Band oben zuzog, hob sie noch schnell den Deckel ihrer Cassone, die mit leuchtenden Intarsien geschmückt war, griff hinein und holte ein langes, schmales Objekt daraus hervor. Es war in ein Tuch gewickelt, das sich kurz öffnete, und das Licht der Kerze fiel auf ihre Geburtslöffel, zwei miteinander verbundene Silberkellen. Auf dem Rund eines der Löffel sah sie ihr bleiches, von der Wölbung verzerrtes Gesicht, und bevor die Männer noch etwas merkten, hatte sie ihr Instrument schon unter dem Verbandsstoff in ihrer Tasche versteckt.
    Ihre Geburtslöffel konnten Babys das Leben retten, aber sie konnten sie ebenso verstümmeln. Neulich erst hatte sie bei einer Niederkunft zu viel Druck angewendet und dem Baby bei dem Versuch, es aus dem Leib der Mutter zu ziehen, den Schädel zerdrückt. Die Mutter hatte nichts als einen winzigen blau verfärbten Leichnam in den Armen halten können. Wenn Hannah heute der gleiche Fehler unterlief, würde sie fraglos als Mörderin denunziert werden.
    »Bruder«, sagte Jacopo, »du bist ein Narr. Ich sehe mir das keine Minute länger an.« Damit verbeugte er sich so gut, wie es einem beleibten Mann wie ihm gelingen wollte. »Ich brauche frische Luft, und das sofort.«
    Die Treppe knarzte, als er sie hinunterstieg, dann hörten sie die Haustür schlagen. Hannah wunderte sich, dass Jacopo so einfach sein Leben riskieren wollte. Nachts auf den Straßen gab es etliche umhervagabundierende Banden, und die Gefahr war groß, dass sie einem gut angezogenen Mann wie Jacopo die Kleider stahlen und ihn ins stinkende Wasser eines Kanals warfen. Aber sie sagte nichts.
    »Komme sie. Wir sind in ein paar Minuten im Hause di Padovani. Meine Gondel liegt auf dem Rio di San Girolamo«, sagte der Conte.
    Der Rabbi rückte seinen Gebetsschal zurecht. Hannah wartete darauf, dass er die Tür freigab, aber er wich nicht zur Seite. Er sah sie an und hob langsam die knochigen Hände. Hannah dachte schon, er wolle sie schlagen, doch stattdessen beschrieb er bedächtige Kreise über Hannahs Kopf, wiegte sich sanft in der Hüfte und sagte auf Jiddisch: »Möge Gott in seiner Größe dich lenken. Mache den Juden und allen Frauen Ehre, Hannah. Bringe keine Schande über uns.«
    Damit trat der Rabbi beiseite und ließ sie und den Conte zur Treppe durch.
    Draußen legte der Conte Hannah seinen nach Talgrauch und Schweiß riechenden Mantel um die Schultern. »Die Luft ist heute Nacht feucht.«
    Sie sackte unter dem Gewicht der fellbesetzten Wolle leicht in sich zusammen, drückte sich ihre Tasche mit den Geburtslöffeln an die Brust und folgte dem Conte zu seiner Gondel. Der Rabbi blieb dicht hinter ihr. Hannah musste an einen Vorfall denken, der sich bei einer Geburt am Tage des letzten Purim-Festes in einem Haus in der Calle del Forno zugetragen hatte. Der Hebamme dort war es nicht gelungen, den Fötus in die richtige Position zu bringen, und so hatte sie, um das Leben der Mutter zu retten, den Schädel des Babys mit einem Haken durchstoßen, hatte in den Geburtsgang gefasst und gezogen, am Ende aber auch noch mit einem Seidenband Arme und Beine vom Körper des Kindes reißen müssen, um es aus dem Leib der Mutter zu bekommen. Überall im Zimmer hatten winzige Gliedmaßen gelegen, von der Hebamme in ihrer Panik dorthin geworfen. Hannah betete, dass ihr heute Nacht nicht ein ähnliches Spektakel bevorstand.

Kapitel 2

    Valletta, Malta
    Einige Wochen später
    I saak hatte das Schicksal herausgefordert und verloren. Der Handel zwischen Venedig und der Levante versprach riesige Gewinne, manchmal von bis zu dreitausend Prozent, einfach durch den Kauf und Verkauf von Gewürzen, Holz und bedruckter Seide, und so hatte er sich hoch verschuldet und ein ganzes Lagerhaus voller Seide erstanden, die er in Konstantinopel weiterzuverkaufen plante.
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