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Die halbe Sonne

Die halbe Sonne

Titel: Die halbe Sonne
Autoren: Aris Fioretos
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auf Kosten anderer. Und glaubt stets selbst den Beteuerungen, die in schwedischen Ohren typisch ausländisch klingen müssen, wie an Lügen grenzende Übertreibungen – zumindest bis das Behauptete unter die Lupe genommen wird und sich herausstellt, dass es schlichtweg nicht zutreffen kann. Dann lacht er und erklärt, dass es aber hätte zutreffen können . Von da aus ist der Schritt nie mehr weit dazu, dass es bald zutreffen wird. Warum soll man sich also nicht schon jetzt darüber freuen? Das Ziel der Träume liegt nahe, im Grunde nur eine Armlänge entfernt.
    Für den Vater bleibt das Mögliche Teil des Wirklichen. Nur weil ein Wunsch Wirklichkeit geworden ist, verliert es nicht seine Gültigkeit. Sonst lassen sich die konkreten Umstände niemals korrekt beurteilen. Das Mögliche umgibt jeden Sachverhalt mit einem Strahlenglanz, der selbst ein blutendes Minus auf dem Konto in etwas Hoffnungsvolles im Stile eines errötend unfertigen Plus zu verwandeln vermag. Umgekehrt gibt es ohne Kenntnis der Fakten kein Fundament, auf dem man sicher stehen könnte. Das Haus seiner Träume baut man nicht auf Sand. Ohne Rücksicht auf reale Verhältnisse würden, wie er weiß, die Gerüste wackeln, würde sich das Dasein verflüchtigen. Dennoch geht er nie von Verhältnissen aus, die den Handlungsspielraum einschränken, sondern immer vom Verheißungsvollen, das ihn erweitert. Auf die Art werden die Möglichkeiten sowohl Quelle als auch Horizont des Wirklichen.
    Der Sohn fragt sich: Besteht der Trick darin, das eine wie das andere zu behandeln? Kann vielleicht nur dann die Ursache den Platz mit der Wirkung tauschen, und das Leben als ein Schicksal erscheinen, das man selbst bestimmt?

Vokabelliste über ein Wort

    Im Umgang mit Unbekannten wird er »Vater« genannt, im Gespräch mit Verwandten ist er patéras , gelegentlich far . In Zusammenhängen, die etwas bedeuten, heißt er jedoch immer »Papa«.
    Lange ist der Sohn unfähig, das Wort außerhalb der Familie zu benutzen. Es erscheint ihm verletzlich, sogar kindisch, als markierte es die Grenze dessen, was Außenstehende nichts angeht. »Papa« ist ein Wort, das nach innen weist. Wer käme auf die Idee, die Fassaden seines Hauses mit Tapeten zu verkleiden? Dennoch erscheint es ihm nach seinem Tod unmöglich, ein anderes Wort in den Mund zu nehmen. »Vater« kann irgendein beliebiger Mann sein, »Papa« nur eine Person. Das Wort versichert, dass er noch da ist, zumindest als »Papa«.
    Trotzdem geschieht etwas. Langsam wird den Buchstaben das Leben entzogen – werden sie dünner, raschelnder, gleichsam platt.
    Oh, Papierpflege.

Bodenbelag

    Nach einem Umzug werden als erstes nie die Möbel aufgestellt oder Teppiche ausgerollt. Als erstes werden immer die Bilder aufgehängt. Die Mutter lacht resigniert, als sie von den ersten Stunden unter einem neuen Dach erzählt. Ihre Stimme wird wehmütig, als sie erklärt, dass ihr Gatte nicht in der Lage ist, zunächst die Grundlagen zu legen. Ausgerüstet mit Hammer und Nagel marschiert er von einem Zimmer zum nächsten – bis sämtliche Wände bedeckt sind. Dafür hat er alle Zeit der Welt. Manchmal wird er erst tief in der Nacht fertig. Die Familie schläft bei beharrlichem Hämmern ein. Ist er nur ungeduldig und will dafür sorgen, dass ihr Zuhause rasch fertig wird? Oder geht es ihm darum zu markieren, dass fremdes Territorium in seine Hände übergegangen ist – wie der Entdecker, der seine Flagge in etwas stößt, was Packeis oder Treibsand sein mag? Hauptsache, er kann Anspruch auf den neuen Ort erheben.
    Der Vater hat seine eigene Antwort auf die Frage des weisen Inders: »Jetzt haben wir die Wände, aber wo ist das Dach?« Sie lautet: »Hier sind die Wände, hier ist das Dach. Zeit für den Fußboden.«
    Der Boden, das ist die Domäne der Mutter.

Erste Thesen über ausländische Väter

    XL. Ein ausländischer Vater ist immer größer als groß.
    XXXIX. Lache ruhig über einen ausländischen Vater. Aber nur in seiner Gesellschaft und wenn keine einheimische Person anwesend ist.
    XXXVIII. Glaube einem ausländischen Vater immer, wenn er erklärt, die Namen von Blumen, Vögeln oder Bäumen nicht zu kennen.
    XXXVII. Dito Beeren, Pilze und alles, was Automotoren betrifft.
    XXXVI. Der Handteller eines ausländischen Vaters ist größer als der Himmel über euch.
    XXXV. Bedenke, dass auch ein ausländischer Vater ein Sohn ist. Wenn er es nicht mehr ist, dann ist er es gewesen. Es gibt nicht viele ausländische Väter, die diesem
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