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Lesereise Zypern

Lesereise Zypern

Titel: Lesereise Zypern
Autoren: Knut Diers
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Poseidon ruft
Vom Hafen in Zygi mit Nikolaos auf Mondfahrt in die ewigen Fanggründe
    Nikolaos verbringt kaum eine Nacht mit seiner Frau. Wenn die Uhr zwölf schlägt, gilt seine Aufmerksamkeit einer anderen Liebschaft – »Vesta«. Das ist sein Fischerboot, das im Hafen von Zygi in den Wellen schaukelt. Der kleine Fischerort an der Südküste östlich von Limassol ist nicht gerade hübsch. Doch hier haben sich mehr als ein Dutzend Fischtavernen angesiedelt. Nikolaos und seine Frau Anna betreiben eine davon.
    Der Sechszylinder-Diesel tuckert. Die Nacht ist sehr mild und klar. Der Mond zeigt seine Sichel. Sterne funkeln. »Nach denen muss ich nicht mehr navigieren«, sagt der Seemann, »ich habe Karte und Kompass.« Dann zeigt er auf seinen Kopf. Das bedeutet, er kennt das Meer vor der Südküste so genau wie den Inhalt der Schubladen in der Küche seiner Taverne. Untiefen sind ohnehin nicht zu erwarten. Das tiefblaue nächtliche Wasser scheint bereit zum Abfischen zu sein. Rotbarben wird Anna heute Mittag in der Taverne auf die Speisekarte setzen, denn die gehen Nikolaos in den nächsten Stunden in die Netze. Gegen fünf Uhr, wenn die Sonne im Osten über Syrien heraufzieht, dann ist die »Vesta« wieder hinter dem Arm aus hellen Felsbrocken, der als Wellenbrecher den neu umgebauten Hafen schützt, in Sicherheit.
    »Nein, Sturm haben wir heute nicht zu erwarten«, prophezeit Nikolaos. Er steuert das kleine Schiff von den beiden schlanken weißen Leuchttürmen im Hafen aus aufs östliche Mittelmeer. Über den Bug geschaut fiele der Blick bei dieser Mondfahrt etwa Richtung Südost auf Tel Aviv, könnte man tatsächlich rund dreihundertvierzig Kilometer weit schauen. Backbord liegen Syrien und der Libanon. Steuerbord – also nach Westen – ist nichts als Meer zu sehen. Nikolaos hält am Heck den weißen Griff des Holzruders fest und gibt Gas. Die »Vesta« stampft durch die Wellen, die heute Nacht nur etwa einen Meter hoch sind.
    In großen blau-weiß gestreiften Kunststofftaschen liegen die blauen und gelben Netze bereit. Bald schon wirft der Fischer das Erste von zehn über Bord. Weiße Styroporquader halten die Enden über Wasser. »Neulich hatte ich eine Schildkröte, die hineinschwamm«, erzählt Nikolaos. Er hat sie sofort befreit. Die bedrohten Tiere sind jetzt auf dem Weg nach Lara Beach im Westen der Insel zur Eiablage am Strand. Neben Rotbarben erwartet er heute Plattfische, Makrelen und Barsche. Ab und an hat er auch eine Muräne im Netz. Sie sind eine Delikatesse und bringen gute Preise im Restaurant.
    Es ist eine verrückte Arbeitsteilung zwischen ihm und seiner Frau. Nikolaos als Nachtaktiver jagt dem Fischerglück nach, während Anna schläft. Wenn er gegen fünf Uhr im Hafen und dann um sechs zu Hause ist, frühstücken sie gemeinsam. Dann geht er schlafen und sie in die Küche des Lokals. Alles muss hergerichtet werden, bevor dann die Gäste kommen und Fisch essen. Am liebsten serviert Anna mezé . Das sind etwa zwanzig Schalen mit allen Genüssen, die sie zu bieten hat. Salat, Oliven, Tintenfisch und Pommes sind dabei. Dazu serviert sie eine Joghurtcreme, vermischt mit Sesampaste, Knoblauch und Zitronensaft. Manchmal legt sie auch fein geriebene Erdnüsse dazu. Das nennt sie tachini . Es ist eine Spezialität, die nur noch in den alten Dörfern aufgetischt wird. Sie zerschneidet Taro-Knollen, die wie süßliche Kartoffeln schmecken. Brot und Wein stehen neben Olivenöl und Wasser. Ganze Familien lassen sich an den Tischen nieder und essen die anwachsende Zahl von Schalen leer, die Anna aufträgt. Es sind viele Einheimische dabei, die hier Fisch genießen. Zygi gilt bei Gourmets von Meeresfrüchten ohnehin schon länger als erste Adresse Zyperns.
    »Wir haben magere Jahre hinter uns«, bilanziert Nikolaos an Bord. Manchmal mussten sie Fisch zukaufen, um überhaupt etwas in ihrer Taverne anbieten zu können. Dann wieder bringt er mehr als hundert Fische mit von seinem nächtlichen Raubzug in Poseidons Reich. »Es ist wie Roulette, aber verbunden mit frischem Seewind«, sagt er und lacht. Vor allem die gesunde Luft scheint ihn zu beflügeln. »Wenn du jede Nacht hier draußen bist, ist das deine Heimat«, bestätigt er. »Du liebst das Meer irgendwann – und es dich.«
    Ihm komme es öfter so vor, als wollte ihm irgendwo da unten Poseidon mit seinem Dreizack nach mehreren fangarmen Tagen einmal so richtig die Netze füllen. »Dann zappelt es an so vielen Stellen beim Einholen, dass ich kaum alles ins
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