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Lesereise Zypern

Lesereise Zypern

Titel: Lesereise Zypern
Autoren: Knut Diers
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seine Frauengeschichten und seinen Alkoholkonsum. Doch die Diskretion eines First-Class-Hotels reicht weit über den Tod der Gäste hinaus. Auch zu Erich Honecker, der hier 1982 kurz residierte, lässt sich der erste Mann im Hotel nicht viel entlocken. Daphne du Maurier, die englische Autorin, bedankte sich im Gästebuch huldvoll für »happy peaceful weeks« und lässt ahnen, wie lange früher ein Urlaub anhielt. »Von Juni bis September hatten wir damals ein neunköpfiges Orchester engagiert«, schwärmt der Zypriot, »da gab es jede Nacht Tanz.«
    Vornehmlich Frauen mit ihren Kindern hatten sich auf einen mehrmonatigen Aufenthalt im Hotel eingerichtet. Die Männer waren daheim mit ihren Geschäften befasst, schickten öfter ein Telegramm und kamen eine Woche zum Ende der Sommerfrische vorbei, um die Lieben dann wieder mit nach Hause zu nehmen. Nur – mit wem tanzten die Damen, wenn jede Nacht das Ballkleid ausgeführt wurde? Da gab es einzelne Herren, Schriftsteller, Lebenskünstler, Geschichtenerzähler und Politiker. Es war also eine illustre Runde, die sich schon zum Frühstück auf der Terrasse traf und bei dem herrlichen Blick in die Berge und Pinien das Gefühl einatmete, endlich das ersehnte schönste Fleckchen auf Erden gefunden zu haben. Einige drehten auch ihre Schwimmrunden im Fünfundzwanzig-Meter-Becken unten im Garten.
    Inzwischen hat der Ort Platres allerdings etwas gelitten. Zwar sind viele Villen noch geprägt vom britischen Architekturstil. »Doch die letzten fünf Jahre hat aber auch gar nichts nach vorn geführt«, beklagt sich der Hotelier. Endlich gebe es einen neuen Bürgermeister, der das teilweise verlassene Dörfchen im Gebirge wieder zu neuem Ruhm bringen will. Hercules unterstützt den »lieben Panayiotis« nach Kräften, schließlich sitzt der Hotelier im Entwicklungsrat des Ortes, und das nicht erst seit gestern. Da modern herrenlose Villen mit offenen Türen und Fenstern vor sich hin, während nebenan ein Dreisternehotel mühsam versucht, den Charme des Gestrigen abzustreifen. »Die Besitzer der verlassenen Häuser werde ich alle anschreiben, so geht das nicht«, verkündet Panayiotis streng.
    Vielleicht sind die Klimaanlagen schuld, dass es eines Tages bergab ging mit dem Bergort. Unten an der Küste war der Sommer nicht nur für die Briten unerträglich heiß, die hier oben gleich nach ihrer Ankunft 1878 ihre ersten majestätischen Häuser aus roten Klinkern bauen ließen. Ihre Pferdekutschen rollten in gut zwei Stunden vom Hafen in Limassol an der Südküste hinauf ins kühle Gebirge. Hotelplakate aus jener Zeit verheißen den Duft von Pinien in dreitausendsiebenhundert Fuß über dem Meer, fließendes kaltes und heißes Wasser, elektrisches Licht, eine neue Tanzhalle sowie in jedem Zimmer eine elektrische Klingel. Mit der konnte man den Ober rufen. Platres war noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein Refugium der Vornehmen. Bis in die sechziger Jahre galt weiße Haut als Zeichen guten Lebens, denn die Armen mussten sich auf den sonnigen Feldern abschinden, und so war die Lage fern von den Stränden kein Nachteil für das Hotel.
    Erst langsam legten sich auch auf Zypern immer mehr Gäste unten am Meer in die Sonne und ließen sich bräunen. Es war der Übergang zum Massentourismus. Die Pauschalreise wurde erfunden, die Zersiedlung der Landschaft durch Bettenburgen nahm auch auf dieser Insel ihren Lauf. Die vornehme Blässe verschwand wie der dreiwöchige Hotelurlaub in den Bergen von Troodos. Das im Bauhaus-Stil errichtete Haus der Familie Skyrianides mit hundert Zimmern – lange Zeit das größte Hotel Zyperns – hatte keine guten Auslastungszahlen mehr.
    Wenn er jetzt an die Zukunft denke, werde ihm oft bange, bewilligt Hercules einen Einblick in den geschäftlichen Zweig seines Denkens. Er schenkt noch Tee nach und steckt das Lob der Gäste für die zwei Arten in der Hotelküche gefertigter Plätzchen nickend und schmunzelnd ein.
    Auch der Verfall der Sitten gehört in die Rubrik »Veränderungen zum Schlechten«. Während früher Samt und Seide den Stil der Bekleidung prägten, hat Hercules tatsächlich neulich erst wieder beobachtet, wie seine Hausgäste in nassen Badesachen am Frühstückstisch Platz nahmen. Er wird noch deutlicher. »Wenn wir jetzt noch all-inclusive einführen, ist das ein Desaster«, beschreibt er ein Menetekel, das auch die Hotelwelt der »Insel der Götter« erreicht hat. »Die Leute konsumieren nur noch, nehmen und werfen weg– weil es
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