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Lesereise Zypern

Lesereise Zypern

Titel: Lesereise Zypern
Autoren: Knut Diers
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Boot bekomme«, beschreibt er die Poseidon-Tage, wie sie bei ihm heißen. Dann schaut er hoch und blickt auf sein Zypern, das sich vom linken bis zum rechten Augenwinkel vor ihm ausbreitet. Von hier aus ähnelt seine Insel einem schlafenden Riesen. Die blinkende Lichterküste erinnert ihn an die Reize, mit denen einst Odysseus zu tun hatte, als er die Gesänge der Sirenen vernahm. Seiner Mannschaft hatte er die Ohren mit Wachs verschließen lassen und ihr befohlen, ihn auf keinen Fall vom Masten loszubinden, an den er sich fesseln ließ. So segelten sie an den Inseln vorbei, die Seemänner waren taub, und Odysseus der Einzige, der dem Gesang der auf den Klippenfelsen wohnenden Geschöpfen standhielt. Üblicherweise betörte die liebliche Melodie die Vorbeifahrenden, sodass sie willenlos zur Insel fuhren, dort allerdings von den Sängerinnen, die halb Frau und halb Fisch oder halb Vogel und halb Frau waren, verspeist wurden.
    Nikolaos lauscht in die Nacht. Außer den Wellen, die gegen den Rumpf seiner »Vesta« schlagen, ist nichts zu hören. Für ihn ist Zypern die Insel der Sirenen. Er ist immer wieder angezogen von ihrer Schönheit – jeden Morgen auf der Rückfahrt, wenn sie sich vor dem Boot ausstreckt. Die kaum wahrnehmbare Nuancierung von Blau- und Schwarztönen des schlafenden Riesen umrahmt im Moment das Lichtermeer von Limassol. Dort an den Stränden bis in den Morgen zu tanzen, das wäre nicht seine Welt. Er liebt die Nähe zu Poseidon, das Gefühl, Odysseus zu sein, aber gleichzeitig auch Annas Mann. Der Hafen dieser Ehe bedeutet ihm viel. Die beiden bilden ein kleines, aber erfolgreiches Unternehmen. Er hat mit den Fischen zu tun, sie mit den Gästen – umgekehrt wäre es ein Desaster.
    Wenn Nikolaos auf See ist, fallen ihm viele Geschichten ein von seinem Zypern. Dazu gehört, wie er als Junge bei seinem Onkel im Troodos-Gebirge die Ferien verbrachte. Der erzählte ihm von Lokomotiven, die er so mochte. Solche dampfenden Rösser rollten einst auch über diese Insel, bis die letzte Strecke in den fünfziger Jahren stillgelegt wurde. Dann hat er miterlebt, wie man immer mehr Stauseen in die Berge baute, um darin im regenreichen Winter Trinkwasser für den Sommer zu speichern. »Unsere Flüsse führen nur im Winter Wasser, im Sommer kommt kaum einer bis ins Meer, das dann stellenweise salziger ist als im Winter, weil es nicht durch Süßwasser verdünnt wird«, erläutert der Mann aus Zygi.
    Er träumt davon, einmal ein größeres Lokal zu besitzen. Vielleicht hätten sie dann eine moderne Espressomaschine, von der viele Gäste sprechen. Im Moment kann Anna bei Kaffee und Tee nicht mehr als die Grundversorgung liefern – Pulver oder Beutel, mit heißem Wasser übergossen. Ein neues Boot sei auch nicht drin, rechnet Nikolaos vor. Dazu reiche das Geld einfach nicht. Doch Zygi wollen sie nicht verlassen. Dabei war das nicht immer so.
    Wie nah der kleine Ort mit seinen paar Hundert Bewohnern am 11. Juli 2011 dem Untergang war, hat der Fischer noch klar vor Augen. Es war kurz vor sechs Uhr morgens. Mit gutem Fang hatte Nikolaos seine »Vesta«, die Göttin des Feuers, gerade an der Kaimauer festgezurrt, da gab es eine Explosion, die seine Ohren schmerzen ließ. Sie war fünfzig Kilometer weiter noch zu hören, doch die Marinebasis Evangelos Florakis, wo sich das Unglück ereignete, liegt nur fünf Kilometer östlich. Achtundneunzig Container mit Munition und Sprengstoff flogen nach einem Brand in die Luft. Der fünfundvierzigjährige Kommandeur des Stützpunkts, der seine Vorgesetzten mehrfach vor der Lagerung der Explosivstoffe im Freien gewarnt hatte, war unter den dreizehn Toten. Die Detonation beschädigte fast alle Häuser in Zygi. Auf die nahe Autobahn regnete es Trümmer. Es gab Verletzte und verbeulte Autos. Aber in seinem Dorf hatten die Einwohner Glück, es kam niemand ums Leben.
    Nikolaos schüttelt noch heute den Kopf. Wie kann man so etwas machen? Wer hat zugelassen, den Sprengstoff dort bei sechzig Grad Hitze in einfache Container zu stecken? Die Zyprioten waren fassungslos. Zwei Jahre lang war das explosive Gemisch in der Marinebasis nur notdürftig gesichert gewesen. 2009 hatte ein Schiff der US -Marine den unter zypriotischer Flagge fahrenden russischen Frachter » MV Monchegorsk« mit der brisanten Fracht aufgebracht. Die Munition war auf dem Weg vom Iran nach Syrien gewesen.
    Augenblicklich fiel an dem Schwarzen Montag das Licht aus. Die Taverne musste schließen. Das öffentliche Leben
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