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Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Titel: Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)
Autoren: Robert Merle
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daß die Post meines Vaters auf Gottes ausdrücklichen Willen hin erst achtundvierzig Stunden nach meiner Abreise auf Montaigne eintraf, damit ich mein Leben weiterhin in Gefahr wähnte und mich auf den Weg begäbe, vom König eine Begnadigung zu erwirken, deren ich gar nicht mehr bedurfte, und also in Paris inmitten meiner Glaubensgenossen in jene unerhörten Gefahren und Bedrängnisse geriete, welche ich hier beschrieben?
    Sollte ich glauben, Gott habe all dieses grausame, mörderische Unheil den Hugenotten geschickt, um sie zu prüfen, und die Papisten um deren Güter, Titel, Ämter und Würden bereichert und dadurch in der Annahme bestärkt, daß ihr verderbter Glaube der rechte und ihre Irrungen Wahrheiten seien?
    Wenn hingegen die Bartholomäusnacht nicht das Werk Gottes, sondern seines Todfeindes war, da doch bei diesem Blutbad soviel gemeiner Verrat und so viele erschreckliche Grausamkeiten begangen wurden, welche alle den Stempel des Fürsten der Finsternis trugen, wie sollte man dann verstehen, daß der allmächtige Gott den Spießgesellen jenes Fürsten nicht in den Arm fiel, sondern im Gegenteil seine Gerechten verderben und Satan triumphieren ließ, so als hätte der Satan mehr Macht als Er auf dieser Welt, die Er doch mit seinen eigenen Händen geschaffen?
    Ich bitte meinen Leser (welcher mir wohlgewogen bleiben möge) vielmals um Nachsicht, sollte er aus diesen Überlegungen einen ketzerischen Ton heraushören. Möge er wissen, daß ich sie ohne Arg anstelle und ohne Vorwurf an die Geistlichen, welche es sich zur Aufgabe machen, uns die Mysterien zu erklären. Doch da ich oft beobachtet, daß ihre Erklärungen die Dinge, in welche sie Licht bringen sollen, nur noch mehr verdunkeln, habe ich es für richtig erachtet, hier meine unbedeutenden Gedanken in aller Offenheit dergestalt niederzuschreiben, wie sie mir in den Tagen und Nächten nach meiner Rückkehr in die Geborgenheit meines Vaterhauses im Kopf herumgingen; denn nachdem ich der Gefahr entronnen, mußte ich wieder und wieder über die Ereignisse der Bartholomäusnacht nachsinnen, in welche ich nach dem Willen Gottes – oder soll ich sagen: des Schicksals – hineingezogen ward.
    Am Anfang wie am Ende solchen Nachsinnens stand immer die Überzeugung, daß es bedenklich sei zu glauben, das Unglück, welches über uns kommt, sei von Gott geschickt; in solchem Glauben sehe ich den Beginn untätiger Resignation, während es meines Bedünkens notwendig und angebracht ist, den Schlag des Gegners abzuwehren, ehe man die von ihm verursachte Wunde als eine vom Himmel gesandte Prüfung ansieht. Wenn es sich um eine Prüfung handelt, so wagte ich zu denken, soll man sie zu bewältigen trachten und nicht nur darunter leiden.
    Noch heute, da ich als Graubart diese Zeilen niederschreibe, vermag ich nicht zu sagen, ob es eine Fügung Gottes oder des Schicksals war, daß ich mich damals an einem Ort befand, wo ich – ohne es zu wissen – nichts zu suchen hatte und mich ganz unnütz um eine Begnadigung bemühte. Doch einer Sache war ich mir gewiß, und davon wird nichts in der Welt mich abbringen können: Nachdem ich in jenem haßvollen Paris die verderblichen Folgen des Glaubenseifers erlebt, habe ich mir bei meinem Seelenheil geschworen, daß die Ergebenheit für meine Kirche mich niemals dazu verleiten werde, den Degen zu ziehen, denn ich vermeine, daß die Dispute über diese oder jene Form der Gottesverehrung allein den Geistlichen zu überlassen sind, ohne daß nach dem Messer gegriffen wird,
welchselbiges Messer nichts zu entscheiden vermag
, wie der Herzog von Anjou, als er ein Jahr später das hugenottische La Rochelle belagerte, an seinen »viellieben Bruder und Herrn« zu schreiben wagte – denselbigen, der vor den Menschen und der Geschichte und auch, wie ich hinzusetzen möchte, vor Gott die Verantwortung für die Bartholomäusnacht trägt.
    Mein Quéribus wirkte Wunder unter dem katholischen Adel im Sarladischen Land, denn er hatte so viel von einem okzitanischen Edelmann in sich, daß man den Hofkavalier darüber vergessen konnte, und verstand es trefflich, in seinen wohlgesetzten Reden immer wieder auf die Freundschaft anzuspielen, welche der Herzog von Anjou ihm bekanntermaßen bezeugte, so daß man – da Karl IX. ohne männliche Nachkommen und sehr kränklich war – dem Baron allerorten das Gewicht beimaß, das dem Günstling des künftigen Herrschers zukam; und er verfehlte nicht, von meiner eigenen Gunst bei seinem Herrn ein so
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