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Die Gutachterin

Die Gutachterin

Titel: Die Gutachterin
Autoren: Heinz G. Konsalik
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überfliegen.
    Sie studierte noch einmal Ladowskys Gesicht und ließ sich Zeit dazu. Hübsch und harmlos. Was gab es sonst noch zu sagen? Nicht nur ›Kreuz-Mörder‹, auch ›der Killer mit dem Engelsgesicht‹ war den Journalisten damals eingefallen … Wer konnte ahnen, was sich hinter einer solchen Stirn verbarg? Wer würde annehmen, daß ein junger Mann wie er ein halbes Kind mit beiden Händen zu erwürgen versuchte, es erstickte, um der Leiche dann auch noch ein Kreuz auf die Brust zu legen?
    »Sie hatte so geschrien. Ich konnte nicht anders. Ich mußte doch …« , hatte der Kreuz-Mörder erklärt.
    Nun ›mußte‹ er zum zweitenmal.
    Das neue Opfer, wieder ein Mädchen, war sechzehn, sehr hübsch, die Lippen noch fragend und kindlich, auch die großen, hellen Augen schienen voll Hoffnung und Vertrauen auf den Betrachter gerichtet.
    »Alle in der Schule liebten sie«, stand unter der Aufnahme. »Evi Fellgrub gehörte zu den beliebtesten und auch begabtesten Schülerinnen der Theodor-Heuss-Schule in Bad Orb.«
    Isabella schloß die Augen. Sie versuchte, sich das alles vorzustellen. Doch wie?
    Sie winkte dem Kellner.
    * * *
    »Doktor …«
    »Was ist denn?«
    »Da drüben, der Wagen … Können Sie nicht mal herkommen?«
    Weitbrecht zeigte seine vom ewigen Rauchen verfärbten Pferdezähne. »Da steht so ein komisches Auto.«
    »Wo?«
    »Am Eingang B.«
    Der Eingang B bestand aus einer Zementrampe, die die Leichenwagen benutzten, wenn sie in das Souterrain des Gebäudes rollten, um ihre Last im Aufnahmeraum abzuliefern.
    Dr. Heiner Gottlieb stöhnte, nahm die Füße vom Schreibtisch, stemmte sich hoch und ging durch den großen Sektionsraum. Sein Assistent Weitbrecht folgte ihm. Etwa in Brusthöhe gaben zwei große Souterrainfenster den Blick in den Hof frei. Der Hof war weit und mit grauen Zementplatten belegt. Auf der Westseite, direkt neben dem Rampeneingang, parkte ein dunkelbrauner BMW der Luxusklasse. Am Steuer saß eine Frau und rauchte.
    »Na und?« sagte Dr. Heiner Gottlieb.
    »Na und? Da war vorhin ein Mann dabei. Die waren zu zweit. Wirklich, Doktor … Der Typ schien ein ziemlich schräger Vogel. Und dann stieg der Typ aus und lief zur Rampe … Außerdem, sehen Sie doch mal auf das Schild unter der Windschutzscheibe.«
    Gottlieb sah ein Schild, doch er hatte seine Lesebrille auf. »Was ist das für ein Schild?«
    »PRESSE steht da.«
    Gottlieb schwieg. Das ›Na und‹ wollte er nicht wieder bringen, und Weitbrecht war ja nun wirklich das Gegenteil eines Hysterikers. Der braune BMW gefiel ihm auch nicht. Presse? – Verdammt noch mal …
    »Verstehen Sie denn nicht, Herr Doktor? Die wollen was. Und was die wollen, ist klar.«
    »Na, was denn?«
    Weitbrecht zerrte an einer seiner grauen, dünnen Locken. »Das Mädchen, Doktor, das Mädchen natürlich … Der Kreuz-Mörder … Das läuft doch jetzt seit Tagen. Fernsehen, Zeitungen, jedes billige Hausfrauenblättchen, alle sind voll damit. Und wir haben das Opfer hier im Keller.«
    »Weitbrecht, Sie sind ja verrückt.«
    »Ich?«
    »Was soll denn die Presse hier?«
    »Das werden wir sehen.«
    »Na, dann kommen Sie.«
    Die schwere, stählerne Gleittür zum Aufnahmeraum verriegelte sich elektronisch, wenn einer der Leichentransporter das Gebäude verließ. Die Fenster waren sämtlich geschlossen, die ganze Anatomie war klimatisiert. Wer immer auf normalem Weg hier herunterkommen wollte, mußte oben am Pförtner vorbei, sich ausweisen und wurde dann telefonisch angekündigt. Die Tür hinunter in die Tiefen des Gebäudes konnte außer denen, die Schlüssel besaßen wie er und Weitbrecht, nur der Pförtner mit Hilfe eines Knopfdrucks öffnen. Ein ziemlich hoffnungsloser Fall also für jemand, der eindringen wollte.
    Nein, Dr. Heiner Gottlieb konnte sich nicht mit Weitbrechts Theorie anfreunden. Sie gingen den Gang entlang, ihre Schritte waren lautlos, der Fußboden war mit schwarzem Gummi belegt. Weiter rechts, neben der Medikamentenkammer, führte ein zweiter, breiter Flur im rechten Winkel ab und endete vor einer Zementwand. Die ganze rechte Seite dieses Ganges wiederum wurde von vielen schimmernden Stahlvierecken eingenommen: den Kühlfächern.
    Sie hatten die Ecke erreicht und blieben wie angewurzelt stehen.
    An der Decke brannte ein Neonleuchtraster und warf sein kaltes, blaues Licht auf funkelnden Stahl. Am Boden, vor den beiden Kammern der dritten Reihe, kniete ein Mann. Er trug einen orangefarbenen, leichten Baumwollpulli, dunkelblaue Jeans und
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