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Die Gutachterin

Die Gutachterin

Titel: Die Gutachterin
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Adidas-Joggingschuhe. Neben ihm auf dem Boden stand eine der Ledertaschen, wie Fotografen sie benutzen. Er hielt eine Kamera in der linken Hand, die rechte lag auf dem Griff eines der langen, in den Beton eingelassenen Rollfächer, die die Toten bargen. Es gab vierundzwanzig solcher Fächer. Acht davon waren leer.
    Weitbrecht schluckte. Er blieb stumm.
    »Morgen«, sagte Gottlieb.
    Der Mann fuhr herum. Er hatte ein fast dreieckiges Gesicht, trug eine dieser ovalen, modischen Nickelbrillen und wirkte mit seinem fliehenden, schwachen Kinn und den vorstehenden Zähnen wie ein aufgeschrecktes Frettchen.
    »Könnten Sie mir freundlicherweise sagen, was das soll?«
    »Entschuldigung …«
    »Wie bitte? Entschuldigung?« sagte Gottlieb. »Vielleicht verraten Sie mir mal, was ich entschuldigen soll! Was suchen Sie hier, verdammt noch mal? Sind Sie verrückt geworden?«
    Der Mann starrte sie aus seinen fahlblassen Augen an. Er hatte fast keine Wimpern, und die Augenlider wirkten gerötet. Jetzt zog er die Unterlippe ein, um nach Worten zu suchen.
    »Ich – äh …«
    »Was – ich? Stehen Sie auf, verdammt.«
    Er stand auf. Die Windjacke schlotterte um einen mageren Oberkörper, sein Adamsapfel zuckte, und die Schultern hatte er nach vorne gekrümmt. Wirkt irgendwie krank, dachte Gottlieb, und das ist er auch, muß er sein – im Kopf zumindest …
    »Wie sind Sie hier reingekommen?«
    »Die Tür stand doch offen.«
    »Stimmt nicht. Die riegelt automatisch ab.«
    »Das Fenster zum Heizungskeller«, sagte Weitbrecht neben ihm.
    Er konnte recht haben. Am unteren Teil der Rampe gab es ein Fenster, das in den großen Raum führte, der die Klimatechnik der Anatomie beherbergte. Dort befand sich nicht nur die Heizung, dort standen auch die Kühlaggregate.
    »Stimmt das? – Muß ja stimmen. Sie sind durchs Fenster geklettert, nicht wahr?«
    Der Mann in der blauen Windjacke hatte die Frettchenzähne nun in die Unterlippe gegraben und starrte sie an; er starrte auch noch, als Dr. Gottlieb einen Schritt auf ihn zu machte und ihm mit einem raschen, entschlossenen Griff die Kamera aus der Hand riß.
    »Hören Sie, das können Sie doch nicht bringen!«
    »Ach nein? Sie finden, das kann ich nicht? Ich kann noch was ganz anderes. Ich kann die Polizei holen und Sie festnehmen lassen. Und das werde ich auch tun.«
    »Um es hinterher zu bereuen. Sie behindern mich in meiner Berufsausübung. Das hier ist schließlich ein Fall von öffentlichem Interesse.«
    »Was für ein Fall?«
    »Das wissen Sie doch genau.« Er stand jetzt aufrecht da und suchte so etwas wie Entschlossenheit in sein Gesicht zu bringen. »Wir können Sie fertigmachen. Ich werde das der Redaktion melden.«
    »Welcher Redaktion?«
    Er schwieg.
    »Ich habe Sie etwas gefragt. Welcher Redaktion?«
    Gottlieb öffnete den Kamerarückdeckel, riß den Film heraus und steckte ihn samt seinem herunterhängenden Ende in die Hosentasche.
    »Was fällt Ihnen ein?« Die Stimme des Mannes wurde schrill. »Ich arbeite hier für die Presse … Hören Sie, für die Presse! Ich gehe genauso meinem Job nach wie Sie. Ich habe … ich habe einen …«
    »Wissen Sie, was Sie haben?« sagte Gottlieb. »Einen Knall haben Sie. Oder Sie sind pervers, Sie Leichenfotografierer. Und noch was: Sie kommen jetzt mit mir. – Weitbrecht …!«
    Weitbrecht packte den Reporter am Arm, Gottlieb lief voraus, riß die Tür zum Obduktionsraum auf, ging zum Telefon und wählte die Nummer der Polizei …
    * * *
    Am Freitag abend war der Anruf aus Wächtersbach gekommen: Ein Waldarbeiter hatte die Rauchfahne gesehen, die von dem brennenden Fiesta am Bachgrund stammte, und war auch noch auf das Opfer gestoßen, denn daß die Tür des Wildfutterschuppens offenstand, fand er verdächtig. Die halbe Nacht waren sie mit der Spurensicherung beschäftigt. Die Tat mußte nur kurze Zeit zuvor geschehen sein – so wenigstens stand es im Obduktionsbericht, den sie ihm zugetickert hatten.
    Berling war bedient. Es reichte.
    Seit er am Samstag mit seinen Leuten den Fiesta halb angekokelt und bis zu den Radnaben im Schlamm steckend an einem Bachgrund besichtigt hatte, gab es nur noch Ärger. Und was hatten sie sich den Arsch aufgerissen: drei Tage auf Tätersuche durch den Spessart, rings um den Schuppen, wo gleich hinter einem flachen Hügel der Bach floß, an dem der Mörder den Wagen verlassen haben mußte.
    Er hatte beim Präsidenten Verstärkung angefordert, und aus Wiesbaden wurde ihm auch eine Hundertschaft
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