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Die Gutachterin

Die Gutachterin

Titel: Die Gutachterin
Autoren: Heinz G. Konsalik
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der fünften unteren Rippe, drei kleinere im rechten Schulterbereich, wohl von Faustschlägen herrührend. Im Gesicht …«
    Dr. Heiner Gottlieb diktierte.
    Weitbrecht, sein Assistent, hatte die Leiche ins Kühlfach zurückgeschoben und war dabei, den massiven Sektionstisch zu säubern und die Instrumente wegzuräumen, Gottlieb wiederum hing in seinem schäbigen Stahlrohrsessel, hatte die Beine auf dem Schreibtisch und den Kassettenrecorder am Mund – ein untersetzter Mann mit einem runden Gesicht, kahlrasiertem Schädel und wachen Späheraugen, Gerichtsmediziner, anerkannter Anatom und trotz seines düsteren Berufes mit einem unbändig sonnigen Temperament ausgestattet. Es hatte ihn in drei Ehen hineingetrieben, die allesamt in Scheidungen endeten. Gottliebs Frauen konnten seine ebenso detailbesessenen wie aufgekratzten Sektionsschilderungen nicht ertragen. Na gut, dann war er halt mit seinem Beruf verheiratet, mit den Stunden hier unten im stillen, einsamen, formalinduftenden Anatomiekeller des Gerichtsmedizinischen Instituts, mit den stummen, ihm ausgelieferten Objekten in den Kühlboxen, den Präparaten, dem Skalpell.
    »Am Genital wurde eine fünfmarkstückgroße Schwellung mit faserigen Ausrissen an der rechten inneren Schamlippe festgestellt, vermutlich von dem kantigen Holzstück herrührend, das am Tatort sichergestellt werden konnte. Der Gebärmutterhals …«
    Heiner Gottlieb schaltete sein Gerät ab und beugte sich zur Schreibtischkante, um sich eine neue Zigarette zu holen. Sie konnten ihm ja bringen, was sie wollten, Selbstmörder, Katastrophenopfer, Opfer von Arbeits- oder Verkehrsunfällen, Verbrannte, Ermordete, Erhängte, Ertrunkene, Zerstückelte – aber dieses Mädchen? Sechzehn! Was für ein Glück in dieser Zeit der Verrückten, daß du keine Kinder hast und schon gar keine Tochter …
    * * *
    Der Kreuz-Mörder? dachte Isabella. Ausgerechnet.
    Wenn sie ihr Fachgebiet, die Psychologie, berührten, fanden Kriminalberichte Isabellas Interesse.
    Wie war nur der Name? Irgend etwas Polnisches – ja, richtig, Ladowsky, Ludwig Ladowsky … Ziemlich jung. Vor drei Jahren, als Ladowsky mit dem Mord an einer Dreizehnjährigen erneut die Debatte um Triebtäterschaft und Sexualverbrecher angeheizt hatte, da war er noch nicht einmal volljährig. DAS MONSTER MIT DEM ENGELSGESICHT hatten die Zeitungen geschrieben, und irgendwie stimmte das auch, wenn man unter Monster einen Täter verstehen wollte, dessen Motive und Handlungen von normalen Menschen nicht mehr nachvollzogen werden können.
    Den Fall des Kreuz-Mörders hatte Isabella Reinhard damals ziemlich genau durchgeackert, schon deshalb, weil er eine geradezu klassische Täter-Biographie aufwies: eine zerrüttete Familie, der Vater verdrückt sich, worauf die Mutter Alkoholikerin wird und sich mit einer vehementen, an Inzest grenzenden Liebe dem einzigen Sohn zuwendet. Dazu der prügelnde Stiefvater. Der Junge wird ein verschrobener, verweichlichter Einzelgänger, den keiner so richtig ernst nimmt und der es dann doch irgendwie schafft, bei einer Nahtransportfirma als Berufsfahrer angenommen zu werden – ja, es war so ziemlich alles vorhanden gewesen, was sich an explosivem psychischem Material ansammeln konnte.
    Entsprechend furchtbar war die Tat: Ladowsky hatte ein junges Mädchen, ein halbes Kind, deren Eltern er beruflich kannte, vergewaltigt, gewürgt und dann mit einer Plastiktüte erstickt.
    Isa entsann sich deshalb so genau, weil der Fall Ladowsky sie dazu brachte, Ernst Hauschild, ihren alten Lehrer, in einem Artikel in Psychologie heute anzugreifen. Der Artikel machte Furore. Hauschild war daraufhin so sauer gewesen, daß er sie von nun an schnitt, wo immer er sie traf. Als auch noch die Allgemeine Juristen-Zeitung Isas Beitrag nachdruckte, wurde es noch schlimmer, aber es kam auch zu einer ganzen Reihe von Gutachterangeboten, und die kamen stets von derselben Seite: von Rechtsanwälten und Strafverteidigern. Verständlich, denn im Gegensatz zu Hauschild, der bei Triebtätern eine Art unveränderbare Charakterstruktur voraussetzte, eine Art Mechanik, die stets neue Verbrechen erzwingen würde, war Isabella bei ihrer Position geblieben, daß derart schwerwiegende Abweichungen von allen gesellschaftlichen Normen erziehungs- und milieubedingte Wurzeln besitzen müßten und daher auch therapierbar seien.
    Nun aber …?
    Nun hatte der Kreuz-Mörder wieder gemordet und damit auch noch Hauschilds These erhärtet.
    Isabella zwang sich, den Artikel zu
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