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Die Große Wildnis: Band 1 (German Edition)

Die Große Wildnis: Band 1 (German Edition)

Titel: Die Große Wildnis: Band 1 (German Edition)
Autoren: Piers Torday
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viel mehr sagen. Dass wir nicht umsonst Hunderte von Meilen weit gelaufen sind. Denn dafür hätte ich die Tiere nicht in die Stadt bringen müssen.
    »Du hast gesprochen, Kes! Aber das ist ja fantastisch, das ist –«
    »Nein!« Ich schlage mit der Faust auf den Tisch. Der nächste Papierturm stürzt ein, Blätter segeln zu Boden.
    »Hör mir zu«, sagt Pa. »Ich bin noch nicht fertig …«
    »Nein!«, sage ich.
    Nur dieses eine Wort. Mehr kommt mir nicht über die Lippen, ich bringe weder das »du« noch das »darfst nicht« heraus. In diesem Moment wünsche ich mir nur eines: sagen zu können, was ich wirklich denke. Aber eigentlich ist das nicht mehr nötig. Pa weiß es. Er weiß, was ich ihm sagen will.
    All die Dinge, die ich mir immer wieder selbst gesagt habe. Alles, was ich dem Letzten Wild versprochen habe.
    Und jetzt …
    »Hör mir zu.« Er fuchtelt beschwichtigend mit den Händen. »Du hast recht, Kester, du hast ja recht. Es wäre einfach nicht … richtig.«
    Dann zeigt er auf mich.
    »Gib mir bitte deine Uhr, Kes.«
    Meine Uhr. Ich kann es nicht fassen.
    »Ja, Kester«, sagt Pa und hält die Hand auf. »Gib mir deine Uhr, und ich zeige dir, wie die Geschichte weitergegangen ist.«
    Zu verdutzt, um mich zu weigern, nehme ich die Uhr ab. Die Anzeige ist verdreckt und zersprungen, das Plastikarmband ist voller Schlamm und Blut. Ich reiche ihm die Uhr. Argwöhnisch beobachten Polly und ich jede seiner Bewegungen.
    Pa steht auf, lehnt sich über den Tisch und kramt in einem Becher voller Bleistifte und Kugelschreiber und zieht schließlich einen Schraubenzieher hervor. Er dreht die Uhr um und legt sie mit dem Armband flach über sein Knie, dann schraubt er den Metalldeckel auf der Rückseite ab. Zum ersten Mal sehe ich das Innenleben meiner Uhr – eine dunkelgrüne Leiterplatte, auf der sich ein Gewirr von bunten Drähten windet, und eine winzige schwarze Kugel, die unscheinbar in einer Mulde in der Mitte liegt.
    Er zieht eine Mini-Pinzette aus seiner Jackentasche, angelt die schwarze Kugel heraus und hält sie für uns zwischen Daumen und Zeigefinger ins Licht der Lampe.
    »Eine kleine, ähm, Vorsichtsmaßnahme.« Als er meinen Gesichtsausdruck sieht, muss er lächeln.
    »Eine Vorsichtsmaßnahme, die wahrscheinlich jeder gute Vater treffen würde, der ein klein wenig von Mikro-Funksendern versteht.«
    Seine Worte rufen eine Erinnerung in mir wach – Pa, der sich mal eben meine Uhr ausleihen wollte, das letzte Geschenk meiner Mutter, weil, wie er neidisch sagte, sie so chic sei.
    Er beugt sich über den Tisch und dreht einen der Computerbildschirme in unsere Richtung. Dann fliegen seine Finger über die mit Krümeln verklebten Tasten, er gibt ein Passwort ein – und schon erscheint ein Bild auf dem Monitor. Trotz der Fusseln und Staubschichten sehe ich es klar und deutlich – ein Bild von Ma im Garten. Das Foto von meiner Uhr.
    Pa betrachtet es einen Augenblick lang. »Hmm«, macht er gedankenverloren. Dann spricht er weiter.
    »Sechs Jahre lang herrschte Funkstille«, sagt er, und seine Finger schweben über der Tastatur. »Bis plötzlich …«
    Klick .
    Das Bild von Ma verschwindet und es erscheint eine Satellitenaufnahme unserer Gegend. Auf ihr ist ein blinkender roter Punkt zu sehen, in Premia, genau, wo wir gerade sind. Pa dreht sich um, blickt uns an, verschränkt die Arme.
    »Solange ich diesen Punkt in Mentorium blinken sah, wusste ich, dass du in Sicherheit bist. Denn sechs Jahre lang hast du dich nicht von der Stelle bewegt. Insgeheim hatte ich gehofft, du könntest vielleicht entkommen.«
    Ich wusste nicht, ich konnte doch nicht …
    Mit einer Handbewegung wischt Pa meine Gedanken weg.
    »Natürlich, wie hättest du entkommen sollen? Du warst ebenso ein Gefangener wie ich. Und dann, vor ein paar Tagen, begann der Punkt …«
    Er beugt sich vor und drückt eine Taste. Klick! Die Landkarte verschwindet, und es erscheint ein Foto des Generals im Lift in Mentorium, das allererste Foto, das ich geschossen habe. Unscharf, verwaschen, spontan. Wie hat er das …? Klick! Das ist das Letzte Wild im Ring des Waldes. Klick! Der Erste Pferch. Klick! Sidney. Klick! Die Tiere vom Wald der Toten.
    »Ich habe herausgefunden, dass die Uhr mir nicht nur deinen Standort übermittelt, sondern auch alle anderen Daten.« Pa wendet sich vom Bildschirm ab. »Ich weiß über die Tiere Bescheid, Kes, die Tiere, die du hergebracht hast. Ich wollte dir Nachrichten schicken, aber der Empfang war zu schwach. Ich weiß
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