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Die Große Wildnis: Band 1 (German Edition)

Die Große Wildnis: Band 1 (German Edition)

Titel: Die Große Wildnis: Band 1 (German Edition)
Autoren: Piers Torday
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erwacht. Mein Blick fällt auf die Tiere meines Wilds, die sich auf dem Wendeplatz der Sackgasse drängen. Der Geruch von nassem Fell hängt in der feuchten Luft. Ich habe sie bis in die Stadt geführt – aber hier warten weder Pa noch ein Heilmittel auf uns.
    Wir sind am Ende unseres Wegs angelangt.
    Ich renne zu dem kleinen Wolf, der mitten auf der Straße liegt. Die Wärme weicht schon aus seinem Körper. Ich knie mich neben ihn, lege meine Hände auf sein feuchtes Fell und nehme seinen Kopf in den Schoß. Die Zunge hängt schlaff aus seiner Schnauze. Er blickt mir in die Augen, die Worte kommen nur mühsam.
    * Ich habe mich meiner Angst gestellt, Große Wildnis. Hast du das gesehen? *
    * Ja, das hast du wirklich. Du warst so mutig, Kleiner Wolf .*
    * War ich der beste … * Er bringt den Satz nicht zu Ende. Meine Hände halten mitten in der Bewegung inne, warten auf eine klare Anweisung von meinem Gehirn.
    * Ist es immer so kalt in dieser Stadt? *, fragt er.
    Ich schüttle den Kopf und halte ihn, versuche, das Bluten zu beenden, versuche, das alles zu beenden.
    * Mach deine Augen nicht zu, Kleiner Wolf *, befehle ich. * Du darfst sie nicht zumachen .*
    Ich blicke in den grauen Himmel und wünsche mir verzweifelt, diese eine Frage in die Welt hinausschreien zu können: »Pa, wo bist du? Ich habe sie hierhergebracht, zu dir nach Hause. Wo bist du?« Aber bis auf die rasselnden Atemzüge des kleinen Wolfs bleibt alles still. Ich drücke ihn fest an mich, um wenigstens den Blutfluss etwas zu stillen. Ich spüre sein warmes Blut auf meinem T-Shirt, meinen Armen, meinen Beinen.
    * Da, nimm meine Hand *, sage ich. Ich vergrabe mein Gesicht in seinem weichen Fell und halte ihm meine Hand hin, damit er in meine Finger beißt.
    Langsam öffnet er die Schnauze und schließt seine Zähne kraftlos um meine Finger, streift aber kaum meine Haut.
    Er hat sein Leben gegeben, um mich zu beschützen, um uns alle zu retten.
    * Nein, nein, du darfst nicht fortgehen. Bitte, bleib da .*
    Wie aus dem Nichts taucht Polly auf. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass sie in unserer Auffahrt steht und etwas ruft, aber ich höre nicht hin. Stattdessen halte ich den kleinen Wolf in den Armen, aus dem das Leben weicht. Spüre, wie seine Pfoten schlaff werden und sein Atem in ein Gurgeln übergeht.
    »Kester, jetzt hör mir doch mal zu. Da ist jemand im Haus.«
    Ich bringe es nicht fertig, sie anzuschauen.
    Dann höre ich ihre energischen Schritte. Sie kommt her, kauert sich vor mich hin und packt mich an den Schultern.
    »Kester!«, sagt sie leise, aber mit großem Nachdruck. »Warum kannst du mir nicht ein einziges Mal zuhören? Ich war in deinem Haus, habe eine Stimme gehört. Dadrinnen ist jemand.«
    Ich blicke über die Schulter, auf der Suche nach dem General. Aber er hat es sich schon auf meinem Knie bequem gemacht.
    * General, du musst jetzt das Kommando übernehmen. Du weißt, wo du mich findest, falls etwas passiert .*
    * Keine Sorge, ich wache über das Letzte Wild. Melde mich zum Dienst! *
    Er krabbelt eilig los, bezieht am Rand eines Springbrunnens Stellung und lässt den Blick prüfend über die versammelten Tiere schweifen, die völlig erschöpft auf die Straße gesunken sind.
    Behutsam trage ich den Wolf über die Auffahrt und folge Polly durch die offene Tür in die große Diele mit dem polierten Holzboden. Das Blut tropft aus der Schusswunde und zieht eine dunkelrote Spur.
    »Hallo? Hallo?«
    Pollys Stimme hallt von den glatten weißen Wänden wider, die mir so vertraut und doch auch fremd sind.
    Wir bleiben stehen und lauschen über das laute Trommeln unseres Herzschlags hinweg in die Stille, warten auf die Stimme.
    Und dann höre ich es – Pochen gegen eine Tür und gedämpftes Rufen. Ich muss nicht lange überlegen, aus welcher Richtung die Geräusche kommen, und bin schon auf dem Weg die breite Treppe in unseren Keller hinab. Die Stufen führen zu einer schweren, verriegelten Metalltür.
    Die Tür zum Labor meines Vaters.
    Vor der Tür halten Polly und ich inne. Wir sehen uns an. Vom kleinen Wolf kommt ein mattes Winseln.
    Das Klopfen hält an, aber es wird langsamer, so als würde der Person hinter der Tür der Arm schwer werden. Ich will etwas sagen, spüre, wie die Luft in meine Lungen strömt und meine Lippen sich öffnen und meine Zunge sich anspannt, nur um ein einziges Wort hervorzubringen …
    Das Klopfen hört auf. Von der anderen Seite der Tür ist ein gedämpfter Schrei zu hören.
    Polly wirft mir einen nervösen
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