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Die Große Wildnis: Band 1 (German Edition)

Die Große Wildnis: Band 1 (German Edition)

Titel: Die Große Wildnis: Band 1 (German Edition)
Autoren: Piers Torday
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nicht, ob …«
    HILFE!
NICHT
AUFGEBEN!
    Typisch Pa. Drei Wörter, wo zehn bestimmt hilfreicher gewesen wären.
    »Und weißt du auch, warum? Ich war dabei … aufzugeben. Die Erinnerung an Laura war allmählich verblasst … bis du diese ganzen Tiere aufgenommen hast. Ich wusste nicht genau, was du vorhattest. Aber du hast mir gezeigt, dass es noch Tiere gibt, die am Leben sind. Die ein Heilmittel brauchen. Ein Heilmittel, das ich entdeckt und wieder verloren hatte.«
    Allmählich wird mir alles klar.
    »Genau gesagt«, fährt Pa fort, »habe ich keines mehr, das ich sofort einsetzen könnte. Aber ich habe etwas anderes. Und das«, er zeigt wieder auf mich, »habe ich dir zu verdanken. Denn als ich gesehen habe, wohin du gehst, als ich deine Bilder gesehen und deinen Weg auf der Landkarte verfolgt habe – da habe ich begriffen, dass es noch nicht zu spät ist, um noch einmal von vorne anzufangen …«
    Pa wirkt mit einem Mal müde und gealtert. Er ist blasser, hat mehr Falten, sein Gesicht ist schmaler. Mir wird klar, dass es mir immer nur darum ging, dass er mir hilft. Aber jetzt …
    Pa bemerkt meinen Gesichtsausdruck nicht und fährt fort.
    »Heimlich habe ich Bruchstücke meiner früheren Arbeit ausgegraben und wieder rekonstruiert … Von diesem Tag an habe ich wieder zu arbeiten begonnen. Tag und Nacht, ich habe Geheimschrift verwendet, habe alle möglichen Tricks benutzt, um meine Arbeit vor Facto geheim zu halten. Ich habe deine Fotos ausgewertet, die Krankheitssymptome untersucht, Notizen gemacht, ich habe gearbeitet, bis … bis dieser Schurke zurückgekommen ist. Gestern Abend.«
    Polly und ich sehen uns mit neuer Hoffnung an. Vielleicht, ja vielleicht …
    Pa beugt sich vor, als wolle er seine Schnürsenkel binden.
    Und zieht die Schuhe aus.
    Nimmt den Schraubenzieher, lockert damit die Schuhsohle, reißt die Nähte auf, bis die Sohle wie ein welkes Blatt am Schuh hängt.
    Greift in die Aushöhlung und holt eine Ampulle heraus. Er hält sie ans Licht, sodass wir die klare Flüssigkeit sehen. Die Papierstöße und die flimmernden Monitore – plötzlich sind sie nicht mehr eine Ansammlung von Müll.
    »Und was genau haben Sie da?«, fragt Polly und wagt es kaum, auf das Fläschchen in Pas Hand zu zeigen, geschweige denn es anzufassen.
    »Eine Probe. Eine Medizin für Versuchszwecke. Aber sie ist noch nie getestet worden.« Mein Vater betrachtet die klare, durchsichtige Flüssigkeit in der Ampulle, in der sich das Licht der Lampe bricht. »Um sie zu testen, brauche ich ein paar lebende Tiere, die an der neuesten Variante des …« Polly und ich blicken einander an. »Wobei ihr mir, wie ich annehme, helfen könnt.«
    Aber da ist Polly längst auf dem Weg zur Treppe. Sie rennt aus dem Labor hinaus und schreit den Tieren, mit denen sie ja nicht so sprechen kann wie ich, etwas zu.
    »Er hat ein Heilmittel! Er hat ein Heilmittel!«
    Einen Augenblick lang sind Pa und ich alleine im Labor. Nur wir und Kleiner Wolf, der leise vor sich hin atmet.
    Wir beide blicken ihn an und Pa streckt mir die Hand hin.
    Ich nehme sie.
    Drücke sie so fest, als wollte ich sie nie mehr loslassen. Nie mehr.
    Wir schauen auf den kleinen Wolf, seinen Verband, die Infusionskanüle, die in ihm steckt …
    »Es wird nicht einfach werden, Kester, man darf nichts überstürzen.«
    »Nein«, sage ich wieder, diesmal aber sanft.
    Pa sieht mich an und lächelt, in seinen Augenwinkeln hat er Lachfältchen wie früher und seine Augen strahlen.
    »Deine Mutter«, sagt er. »Sie wäre wirklich … weißt du … stolz gewesen.«
    Ich hätte gern irgendein anderes Wort gesagt, aber ich kann nicht.
    Stattdessen wird mir bewusst, dass die Zeit zum Reden – egal worüber – vorbei ist, deshalb führe ich Pa aus dem Labor, hinaus in die feuchte, rauchige Luft unserer grünen Sackgasse, um ihm das Letzte Wild zu zeigen.

Kapitel 41
    Eine Woche ist vergangen. Es ist ein sonniger Nachmittag und ich stehe wieder in Pas Labor, nur dass es diesmal aufgeräumt und sauber ist. Ich schaue in unseren Garten hinaus, der sich bis zum Fluss, der im Sonnenlicht glitzert, erstreckt. Das Haus wirkt wie immer – mit Ausnahme der Tiere.
    Schmetterlinge flattern um die Rosensträucher, und im Apfelbaum verrät ein gelegentliches Zittern der Blätter, wo sich die Tauben verstecken. Darunter liegt der Hirsch friedlich im Schatten, Marder springen um ihn herum und tun ihr Bestes, das, was von Pas Blumenbeeten übrig geblieben ist, zu zerwühlen. Der Hirsch scheint das
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