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Die Goldmacherin Historischer Roman

Titel: Die Goldmacherin Historischer Roman
Autoren: Sybille Conrad
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Haare stammten, wussten beide Eltern nicht zu sagen.
    »Beim Elixier ist der Grat zwischen Heilwirkung und Schaden schmal.« Sein Lächeln verschwamm im Halblicht der Öllampen. »Stark verdünnt vertreibt es sogar die Wanzen aus den Wänden.«
    »Das geht?«, fragte Aurelia erstaunt.
    »Jeder Sud taugt zu mehr als einem Ding.«
    Das würde Aurelia sich merken. Sie verabscheute Getier, alles, was krabbelte, biss und stach, war ihr zuwider.
    Vater nahm ihre Hand. »Wir müssen auf unseren Leumund achten, selbst hier in Mainz, wo der Bischof uns gewogen ist. Nichts begreifen die Leute von der Dosis, die erst das Gift macht. Du weißt doch, wie schnell sie uns die Schuld für ihre eigenen Sünden anhängen.«
    Oh ja, das wusste Aurelia nur zu gut. Drei Herzschläge lang versank sie in der grenzenlosen Angst, die sie erfasst hatte, als die Schergen von Marseille ihre Mutter holten. Sie sah wieder die Tarotkarten durch die gleißende Sommerluft fliegen, die Karten, aus denen Mutter den Leuten die Zukunft gelesen hatte. Sie hörte wieder den endlos gellenden Schrei, als die Schergen ihre Mutter von der Sitzbank vor dem Haus wegschleppten. Tränen stiegen Aurelia in die Augen. Noch in jener Nacht, als man Mutter als Hexe erschlug, war sie mit ihrem Vater unter einer Fuhre Eselsmist verborgen geflohen.
    »Verzeih.« Vater strich ihr über die Wange. »Wir wollten es ruhen lassen.«
    »Schon gut«, sagte Aurelia. Aber es würde niemals wieder
wirklich gut werden. Mutter fehlte ihr, gerade jetzt, wo sie vielleicht bald Romualds Frau werden würde.
    »Hilf mir«, sagte Vater mit einem Blick zu dem Steintrog auf dem großen Tisch. »Das Kleine Werk wird noch Kraft fordern.« Er hielt ihr das Glas hin. »Mach es halbvoll – und gib mir besser gleich noch drei Tropfen von der Aqua aureliana.« Seine Bitte klang nicht so leichthin, wie sie es wohl sollte.
    »Warum …?«, begann Aurelia, doch Vater zog sie an sich und wiegte sie einen kurzen Augenblick in seinen Armen.
    »Wir müssen kämpfen«, brummte er. »Für dich. Eine Verlobung mit Romuald hebt dich in den ehrbaren Bürgerstand. Bist du erst einmal mit der mächtigen Zunft der Schriftsetzer verbunden, wird uns niemand mehr aus Mainz vertreiben können. So kurz vor dem Ziel ist mir jedes Mittel recht.«
    Er wandte sich zum Trog, schob die Ärmel seines grauen Mantels zurück und tauchte die Hände in die blaugraue Flüssigkeit. Kräftig bewegte er seine Arme darin, als spüle er Wäsche im Bach. »Ach, aptal kafa yo cretino! «, rief Vater aus. Ein lautes Schwappen mischte sich in seinen Fluch.
    Dann hob er das Kinn, so dass der lange Spitzbart zitterte. »Du darfst nicht zu hastig vorgehen, darauf musst du beim Kleinen Werk achten.«
    Aurelia fühlte ihre Wangen warm werden. Endlich weihte er sie in die Geheimnisse der Metallurgie ein, auch wenn sie genau wusste, dass er es nur tat, weil er es allein nicht mehr schaffte.
    Draußen hörten sie die Kirchenglocke zwölf schlagen.Aurelia erschrak, doch Vater lächelte nur. Er hatte ihr kleines Haus vor drei Jahren mit Bedacht ausgewählt, weil es mit dem Rücken an der Stadtmauer stand. Nicht alle hier in Mainz ängstigten sich vor der Alchemie. Die Nachbarn in der Gasse waren alle Waffenmacher, die fürchteten sich nicht vor dem bisschen Feuer in der Werkstatt. In jeder Schmiede zischte und klirrte es
metallisch im Hof, und so wunderte sich niemand, wenn einmal roter oder gelber Rauch aus dem Schornstein stieg.
    Die Glockenschläge verklangen.
    »Die Zeit ist reif.« Vater wischte die Hände am Rand des Steintrogs ab.
    Ein paar träge Wellen kräuselten die Oberfläche der Apfelessigbrühe, die sauer, aber nicht faulig roch. Dabei hatte Vater schon gestern früh ein ganzes Fass aus der Küche hinausgerollt und hier hineingekippt. »Warum stinkt die Brühe eigentlich nicht?«, fragte Aurelia.
    Im stillen Spiegel der blaugrauen Flüssigkeit sah Aurelia Vaters Schatten. Es schien ihr, als ob dieser sprach.
    »Die Metalle stammen aus den Tiefen. Mit ihnen entreißt man Mutter Erde viele ihrer Geheimnisse.«
    Vater zog sich die gewachsten Lederhandschuhe über und räusperte sich. »Silber ist das Metall der Nacht, sein Schein gleicht dem Licht des Mondes.« Langsam tauchte er die Hände in die wellenschlagende Flüssigkeit. »Aber Silber ist auch das Metall des Todes, deshalb fault es selbst und wird schwarz. Und es reißt auch alles, was Fäulnis bringt, mit in den Tod.«
    Deshalb also roch der Essig hier im Trog noch wie frisch
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