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Die Göring-Verschwörung

Die Göring-Verschwörung

Titel: Die Göring-Verschwörung
Autoren: Achim Müller Hale
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gegangen.«
    Clarson glaubte ihm. Wenn jemand von einem SS-Offizier den Auftrag erhielt, Koffer zum Anwesen eines Reichsministers zu fahren, war er in diesem Land gut beraten, die Gepäckstücke umgehend und unversehrt an ihren Bestimmungsort zu bringen.
    Kraneck öffnete die Tür zum Fond des Wagens mit einladender Geste und einem unverbindlichen Lächeln. Auch der Fahrer trug SS-Uniform und schaute ernst, ohne zu grüßen. Für einen Augenblick war sich Clarson nicht sicher, ob sie zu Goebbels’ Villa im Grünen gebracht würden oder in ein Kellerverlies der Gestapo.

3
    »Jeder von uns muss sich darüber im Klaren sein, dass er, sollten wir scheitern, als Verräter in die deutsche Geschichte eingehen wird.«
    General Franz Halder stand am Tisch seines Wohnzimmers und blickte in die Runde. Er war von mittelgroßer, kräftiger Statur, sein Schädel kantig mit ausgeprägtem Kinn, das Haar über der hohen Stirn im Bürstenschnitt geschoren. Seine Züge hatten sich tief in das Gesicht des Mittfünfzigers gegraben und einzig ein rahmenloser Zwicker milderte den harten Ausdruck seiner Erscheinung.
    Seit Hitler ihn im vergangenen Sommer zum Generalstabschef des Heeres ernannt hatte, war Halder einer der ranghöchsten Offiziere des Reiches. Der Franke hatte bereits unter dem Kaiser im Großen Generalstab gedient und anschließend in der Kriegsakademie etlichen Jahrgängen von angehenden Stabsoffizieren Überlegenheitskomplex und blinden Offensivgeist auszutreiben versucht. Sein pedantisches, emotionsloses Abwägen jeden Details hatte ihm den Ruf eines Meistertaktikers ohne Schmiss und Verve eingebracht. Er kannte seine Reputation und wusste, dass man ihn unterschätzte.
    Er trug Zivil wie seine Gäste, eine Gruppe von neun Offizieren, die einzeln im Schutz der Dunkelheit angereist waren. Die Fensterläden waren sorgfältig verschlossen worden. Alle Anwesenden sprachen mit gedämpfter Stimme, um sicherzustellen, dass nichts vom Inhalt ihrer Unterhaltung auf die Straße drang. Niemand hatte auf den bereitstehenden Sesseln Platz genommen. Die Männer standen mit ernsten Mienen im Kreis, inmitten tief hängender Schwaden von Tabakqualm.
    »Ich brauche ihre Entscheidung«, sagte Halder, jedem in die Augen blickend, während er, die Runde abschreitend, angestrengt Wein nachschenkte. Er hatte den Hausangestellten freigegeben und kümmerte sich selbst um die Bewirtung seiner Gäste. Jedwedes Risiko musste vermieden werden. Nicht einmal seinen eigenen Adjutanten hatte er ins Vertrauen gezogen. Zu enthusiastisch war ihm dessen Bewunderung von Hitlers außenpolitischen Erfolgen. Dieses ständige Auf-der-Hut-sein, das sich eingeschlichen hatte, die stete Sorge, ob nicht irgendein Kellner oder Zimmermädchen ein Spitzel war, verletzte alleine schon die Würde eines rechtschaffenen Offiziers. »Sind Sie bereit, sich gegen das drohende Verhängnis zu stemmen, auch wenn es bedeutet, Ehre und Leben aufs Spiel zu setzen?«
    Niemand sagte ein Wort.
    »Die Alternative hieße zuzuschauen, wie Deutschland in den Untergang geführt wird«, setzte Halder hinzu.
    General Friedrich Weihnacht rührte sich als Erster. Sich auf der Platte des niedrigen Tisches abstützend, drückte der Vierundsechzigjährige seinen dunklen Zigarillo in einen Aschenbecher und schüttelte langsam den grauhaarigen Kopf. »Sie verlangen sehr viel. Wir sollen unseren Eid brechen und uns mit jemandem, der in Charakter und Tat ein Schuft ist, zusammen tun?«
    »Eitle Vorbehalte helfen uns jetzt nicht weiter«, entgegnete Halder. »Wir haben alle selbst zu lange mit den Nazis an einem Tisch gesessen, um nicht nach dem gleichen Essen zu riechen.«
    Weihnacht verzog keine Miene.
    »Wir haben keine andere Wahl«, wiederholte Halder, »wir brauchen ihn.«
    »Und er braucht uns«, setzte Oberstleutnant von Dannegger hinzu, während seine Hände eine weitere Zigarette aus der fast leeren Packung fischten. »Wir sind seine letzte Chance. Können Sie das nicht sehen?« Er war der Rangniedrigste der Gruppe, doch die damit verbundene Rollenverteilung ignorierte er ostentativ. Der achtunddreißigjährige Leiter der Abteilung Operationsplanung der Kriegsakademie nahm grundsätzlich kein Blatt vor den Mund und hatte keine Nachsicht mit höheren Offizieren, die ihm altersweise daherkamen oder ihm erklären wollten, was Krieg bedeutete. Nur Wochen vor dem Waffenstillstand hatte er sich als Siebzehnjähriger freiwillig zur Front gemeldet. Zwei volle Tage lang hatte er nach einer letzten,
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