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Wider die Unendlichkeit

Wider die Unendlichkeit

Titel: Wider die Unendlichkeit
Autoren: Gregory Benford
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1.
     
     
    Als ungeordnete Karawane, die sich klappernd und knirschend über die festgestampfte, ausgetretene Purpurebene schlängelte, brachen sie aus Sidon auf. Das Eis um Sidon war viele Male geschmolzen und wieder gefroren. Die landenden Raumfähren und Heizabstrahlungen der Raupenschlepper hatten das Eis immer wieder verflüssigt, so daß es jetzt uneben und verfärbt war. Regenbogenkleckse und große Flecken giftiger Substanzen sprenkelten die Fläche. Über dieses verkrustete, festgebackene Eis zogen sie, und bei ihnen war der Junge Manuel. In ihren keuchenden und ächzenden Maschinen sangen sie und knufften einander und waren wie gewöhnlich bald bei Kippsprit und Whiskey angelangt.
    Der Junge war dreizehn. Er beobachtete alles mit weiten Augen. Seit fünf Jahren hatte er gewartet und den Gesprächen über Eisriffe und Ammoniakflüsse des schmelzenden Landes gelauscht. Neben einem Heizer hockend hatte er Abend für Abend zugehört, ohne zu wissen, wieviel er glauben konnte, aber eigentlich immer mit dem Wunsch, jedem Wort zu trauen, aus Angst, etwas zu vergessen, was er später einmal brauchen könnte, denn schon damals wußte er, daß sich alles als nützlich erweisen würde, was man lernte. Es war nur eine Frage der Zeit. Am gründlichsten wußte er um die Größe der Wildnis, in die sie jetzt hineinkrochen. Sie war größer als irgendeine der kleinen menschlichen Ansiedlungen, ungeheuer weit und machtvoll und mit einer ihr eigenen Vernunft und Logik. Ganymed – der größte Mond im Sonnensystem mit fast soviel Land und Eis wie die alte, abgenutzte Erde, aber jung und bis vor zwei Jahrhunderten vom Menschen noch nicht gezeichnet. Manuel hörte die Gespräche, dachte an die gewaltigen, weglosen Weiten und wußte, es war leeres Gerede, ganz gleich von wem es kam – von den neuen Erdlern, die vor einigen Jahren eingefallen waren, begierig darauf, die großen Eisberge auf der Suche nach Metallen und Lagern seltener Elemente zu zerhacken und zu zerspalten; von den Biotechnikern, die die angepaßten Tiere herbrachten und sich sicher waren, ihre Kreaturen würden hier einen neuen Ort finden, um zu jaulen und zu arbeiten und den Menschen die Bürde abzunehmen; von den alten Siedlern (wie Petrowitsch), die die großen hydroponischen Kuppeln hochgezogen hatten und sich jetzt in ihrem Innern umtaten, die Nahrung heranzogen und töricht genug waren zu glauben, sie hätten einen stärkeren Einfluß auf die gewaltige, kalte Wildnis als diejenigen, die als Neulinge der Raumfähre entstiegen; von den Älteren, Männern und Frauen, die die ersten Schmelzsprenger hinausgeschickt hatten, um das Land mit Schürhaken und Feuer zu bearbeiten, von den noch Älteren, von denen Manuel nur Old Matt Bohles mit der Reibeisenstimme und dem langsamen, gebeugten Gang kannte; Old Matt Bohles, der wenig redete, aber dessen Augen voller Geschichten glänzten; von all den Menschenwellen, die über Ganymeds Oberfläche brandeten und dann versickert waren, die nur jene übriggelassen hatten, die die Kraft der Ausdauer und die Demut besaßen, die vielen Fertigkeiten zu lernen und gegen die grauenhafte, mitleidlose Kälte anzukämpfen.
    In den ersten Stunden wurde die altkluge Tünche von ihm weggewischt. Er sah zu, wie sie den Kippsprit runterspülten und probierte sogar selbst einen Schluck, aber er war noch nicht nach seinem Geschmack, und er dachte erleichtert, daß dies wohl auch besser wäre. In der dichten, verbrauchten Luft der Kabine schienen sich Geruch und Schweiß der Männer eng um ihn zu legen, und er begnügte sich damit, durch große Bullaugen die vergrößerten und servo-angetriebenen Tiere zu beobachten, die sich auf der pockennarbigen Ebene tummelten. Eine pfenniggroße Sonne ließ Farben auf ihren Rückenpanzern schillern; Stahlteile glänzten blaugrün, Keramikteile schmieriggelb. Ausgelassen genossen sie es, wieder außerhalb der Sidonsiedlung zu sein, fort von den Kuppeln, wo sie ihre Rücken bei der Agroarbeit beugten und als Belohnung die dumpfen Freuden von Nahrung, Sex, Bildergeschichten und Sensos in ihren Freistunden erhielten. Doch nichts davon vermittelte den Reiz des Tollens in der dünnen Luft draußen, wo sie um die rumpelnden Schlepperketten herumliefen, pfiffen und schnatterten und in der stechenden Kälte kurze Schreie austauschten. Sie steckten so lange in ihren Multiplex-Servohüllen, daß Manuel sich kaum erinnern konnte, was ihre Basiskörper gewesen waren. Short Stuff war vielleicht ein Schimpanse
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