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Die Godin

Die Godin

Titel: Die Godin
Autoren: Robert Hueltner
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gewesen, die dem Urban noch gefährlich hätt werden können. Weil nur sie sich noch dafür interessieren würde, was mit ihren Eltern wirklich geschehen war. Als wenigstes hätte sie versuchen können, wieder in das Haus, das er dem Doktor verkauft hatte, einzuziehen. Die Gefahr hätte bestanden, daß der Arzt von Allerberg, der das Haus bereits vermietet hatte, die ganze Angelegenheit wieder aufrollen würde. Es ist um eine ordentliche Summe gegangen, die er ihm zurückzahlen hätte müssen - Geld, das er für andere Unternehmungen benötigt hatte.«
    »Aber sie hat das gar nicht vorgehabt?«
    »Sie hat nichts davon geahnt. Sie war nur über das Schicksal ihrer Eltern erschüttert. Aber in Sarzhofen ist ihr auch gesagt worden, daß sich Urbans Vater so selbstlos für ihre Eltern eingesetzt hat. Darüber hat sie vermutlich mit Urban gesprochen. Vielleicht hat sie sich sogar bei ihm für seinen Vater bedanken wollen. Wie ich ihn kenn, hat er ganz freundlich getan und ihr das Kokain, das er vorher mit Amphetaminen gestreckt hat, zukommen lassen. Sie hat nur ganz wenig davon genommen.«
    Kaneder spuckte auf die Straße. Der Weg zum Bahnhof stieg an. Sie unterquerten den Gleisdamm. Nach einigen Minuten straffte der Wachtmeister die Zügel. Sie hielten vor dem Bahnhofsgebäude. Kajetan ergriff Kaneders ausgestreckte Hand. Der Wachtmeister drückte sie fest.
    »Es ist echt wahr, was ich gesagt hab in der Mühl. Daß sie einen guten Polizisten abgeben täten.«
     
     
    Eine einzige frostkalte Nacht zum Sonntag hatte genügt, um den Sommer in München zu beenden. Rotgelbe Sprenkel durchsetzten das matte Grün der Bäume am Isarufer. Die Sonne stand hoch vor dem diesig blauen, wolkenlosen Himmel, doch ihre Wärme wurde von einem kühlen Luftzug, der aus dem Boden zu dringen schien, zurückgeworfen.
    Kajetan faltete die Zeitung zusammen, in der im Gesellschaftsteil von einem rauschenden Fest berichtet wurde: Der »Steyrer« hatte zur Eröffnung unter der Leitung der neuen Betreiber, der Geschäftsleute Georg »Schoos« Maier und seines Kompagnons Candidus »Kandl« Rohsmeisl, geladen.
    Kajetan streckte die Beine aus, knüllte seine lacke zu einem Kissen und legte sich auf die Bank. Er kreuzte die Arme hinter seinem Kopf, schloß die Augen und genoß die seidige Luft des beginnenden Herbstes. In das Rauschen des behäbig dahinströmenden Flusses mischte sich plötzlich die Musik einer Blaskapelle. Kajetan öffnete die Augen und hob den Kopf. Sein Blick fiel auf den Zug, der sich auf der Wittelsbacherstraße zum Sommerfest der Volks- und Arbeiterchöre auf der Schyrenwiese bewegte. Der Kapelle folgten die bunt geschmückten Wagen, auf deren Ladeflächen ausgelassene Männer und Frauen in die Menge winkten.
    Kajetan hob unentschlossen die Hand und winkte zögernd zurück. Sein Kopf sank wieder zurück. Vielleicht würde er das Fest später besuchen, vielleicht aber in der Dämmerung nach Hause gehen, an seinem neuen, bei Josef Rodenstock am Karlsplatz erstandenen Audion-Empfänger weiterbasteln, sich zufrieden auf das Bett legen und sich - nach dem Esperantokurs, den er einige Male halbherzig verfolgt hatte - das Konzert des Rundfunkorchesters im Radio anhören. Die »Bayerische Radiozeitung« hatte einen »volkstümlichen Orchesterabend« mit Werken italienischer Komponisten angekündigt. Zwei Wochen nach seiner Rückkehr aus Sarzhofen hatte er sich das Radio endlich kaufen können, nachdem der alte Detektiv ihn an sein Krankenbett befohlen hatte, um ihm das Honorar für den Von-Seeberg-Fall auszubezahlen und ihm einige weitere Aufträge zu übergeben, die er selbst in der nächsten Zeit nicht mehr ausführen können würde.
    Dabei zu entdecken, daß kein anderer als Pius Fleischhauer der Münchner Verbündete der Müllner Marie war, geschah fast nebenbei, obwohl der Detektiv heftig bestritt, jemals einen Mann namens Urban gekannt zu haben, geschweige denn beim Überfall auf dessen Haus verwundet worden zu sein.
    Der kühle Wind fuhr unter seine dünne Weste. Auf seinen Ellenbogen gestützt, richtete er sich fröstelnd auf. Das Fest hatte bereits begonnen. Dennoch strömten noch immer Besucher auf die Wiese zu. Unschlüssig griff Kajetan in die Tasche seiner Jacke und zog Teobalts Broschüre hervor.
    Er schlug sie auf und begann zu lesen.
    Emil Teobalt beschrieb die Hintergründe des Putsches, der im vergangenen Jahr die Stadt erschüttert hatte. Er wies nach, daß viele der Politiker, die sich heute von Hitlers Gefolgsleuten
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