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Die Glut

Die Glut

Titel: Die Glut
Autoren: Sándor Márai
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Erkenntnis der Wahrheit, und sie ist gleichbedeutend mit Alter und Tod. Aber auch das tut nicht mehr weh. Krisztina hat mich betrogen, was für ein läppisches Wort! Und ausgerechnet mit dir hat sie mich betrogen, was für eine armselige Rebellion! Ja, schau mich nicht so erstaunt an: Ich sage es mitleidig. Später, als ich vieles erfuhr und alles verstand, weil die Zeit Überreste von diesem Schiffbruch, verräterische Zeichen, auf meine einsame Insel trieb, da blickte ich mitleidig in die Vergangenheit zurück, und ich sah euch, die beiden Rebellen, meine Frau und meinen Freund, wie ihr, von Schuldgefühlen geschüttelt, in Selbstbezichtigung erstarrt und lodernd vor trotziger Leidenschaft, unglücklich und auf Tod und Leben gegen mich rebelliert ... Die Armen! dachte ich. Und das nicht nur einmal. Und ich malte mir Einzelheiten eurer Treffen aus, im Haus am Rand einer Kleinstadt, wo heimliche Treffen fast unmöglich sind, dieses Zusammengesperrtsein wie auf einem Schiff, gleichzeitig dieses peinliche Zur-Schau-Gestelltsein, diese Liebe, die keine ruhige Minute kennt, da alle ihre Schritte, alle ihre Blicke von Lakaien, Dienstboten und von der ganzen Umgebung mit geducktem Misstrauen beobachtet werden, dieses Zittern, dieses Versteckspiel mit mir, diese Viertelstunden unter dem Vorwand des Reitens, des Tennisspielens oder der Musik, diese Spaziergänge im Wald, wo meine Jäger auf Wilderer aller Art aufpassen ... Ich stelle mir den Hass vor, der eure Herzen erfüllt, wenn ihr an mich denkt, wenn ihr bei jedem Schritt gegen meine Autorität prallt, die Autorität des Ehemanns, des Gutsherrn, des Adligen, gegen meine gesellschaftliche und finanzielle Überlegenheit, gegen die Schar meiner Diener und gegen das Mächtigste von allem: gegen die Abhängigkeit, die euch jenseits aller Liebe und allen Hasses zu wissen befiehlt, dass ihr ohne mich weder leben noch sterben könnt. Ihr unglücklichen Liebenden, mich konnte man betrügen, aber nicht umgehen; ich mag wohl ein Mensch anderer Art sein, und doch sind wir drei einander verbunden wie die Kristalle nach den Gesetzen der Physik. Und deine Hand, die das Gewehr hält, wird schwach, als du mich eines Morgens töten willst, denn du hältst dieses Gehetztsein, dieses Versteckspiel, all diese Mühseligkeit nicht mehr aus ... Was könntest du denn tun? Mit Krisztina durchbrennen? Du müsstest auf deinen Rang verzichten, du bist arm, Krisztina ist auch arm, von mir könntet ihr nichts annehmen, nein, fliehen kannst du nicht mit ihr, leben auch nicht, heiraten kannst du sie auch nicht, ihr Liebhaber zu bleiben ist lebensgefährlich, noch gefährlicher als der Tod: Fortwährend musst du damit rechnen, verraten und entlarvt zu werden, du musst befürchten, mir Rechenschaft geben zu müssen, ausgerechnet mir, dem Freund, dem Bruder. Dieser Gefahr hältst du nicht lange stand. Und da legst du eines Tages, als die Zeit reif und irgendwie zwischen uns spürbar ist, das Gewehr an; und später, wenn ich an diesen Augenblick denke, habe ich immer ehrliches Mitleid mit dir. Es muß eine äußerst schwere und mühevolle Aufgabe sein, jemanden zu töten, der einem nahesteht«, sagt er beiläufig. »Du bist dafür nicht stark genug. Oder der günstige Augenblick geht vorbei, und du kannst nichts mehr machen. Denn das gibt es auch, den günstigen Augenblick - die Zeit bringt und holt die Dinge, von sich aus, es ist nicht nur so, dass wir Taten und Phänomene in die Zeit hineinstellen. Ein einziger Augenblick, ein bestimmter Zeitpunkt mag eine Möglichkeit bringen - ist er vorbei, kannst du nichts mehr machen. Du lässt die Hand mit dem Gewehr sinken. Und reist am anderen Morgen in die Tropen.«
    Er prüft aufmerksam seine Fingernägel.
    »Wir aber sind dageblieben«, sagt er, noch immer seine Nägel betrachtend, als wäre das wichtiger, »wir, Krisztina und ich, sind dageblieben. Wir sind da, und alles kommt an den Tag, auf die geregelte und geheimnisvolle Art, wie zwischen Menschen eben die Nachrichten laufen, in Wellen, auch dann, wenn keiner über das Geheimnis spricht und es verrät. Alles kommt an den Tag, denn du bist weggegangen, und wir sind dageblieben, am Leben, ich, weil du den Moment verpasst hast oder weil der Moment dich verpasst hat - das läuft auf dasselbe hinaus -, und Krisztina, weil sie zunächst nichts anderes tun kann, sie muß warten, und sei es nur, um herauszufinden, ob wir geschwiegen haben, du und ich, die beiden Männer, denen sie verbunden ist und die ihr aus
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