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Die Glasprobe und andere zerbrechliche Geschichten

Titel: Die Glasprobe und andere zerbrechliche Geschichten
Autoren: Reinhard Griebner
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Stadtmuseumsdirektor, der Besitzer der Andenkenfabrik, der Hofzuckerschneckenbäcker und der Rundfunkreporter im Chor.
    „Die Hundehaltung nimmt überhaupt überhand“, ergänzte der Oberbürgermeister, dies sei schon immer seine ganz persönliche Meinung gewesen, und sogleich schlug er vor: „Unser aller König wird ersucht, ein Gesetz zu erlassen, das den Besitz von Hunden landesweit unter Strafe stellt.“

Vom Dichter, der nicht auf einen Sockel sollte
    In einer mittelgroßen Stadt hatte einst ein Dichter drei Tage verweilt. Um es ein wenig genauer zu sagen: Der Dichter befand sich auf einer Wanderung, hatte jedoch den süffigen Wein, der in dieser Gegend angebaut wurde, nicht vertragen, der Mann der Feder brauchte dringend eine Toilette und etwas Rast.
    Zweihundert Jahre nach diesem denkwürdigen Ereignis beschlossen die Ratsväter jener Stadt, dem berühmten Gast ein Standbild zu errichten. „Stell uns ein Dichterdenkmal auf den Marktplatz“, hieß es in der schriftlichen Bestellung, die der ortsansässige Bildhauer mit der Frühpost erhielt, „das dem Ansehen, dem Charakter und überhaupt der Rolle der Bedeutung des Schreibschaffenden angemessen ist.“
    Anfangs mochte der Bildhauer mit seinem Auftrag nicht recht warm werden.
    „Wozu ein Denkmal?“ klagte er seiner Freundin. „Allein die Nennung seines Namens treibt den Leuten ein spöttisches Lächeln ins Gesicht. Ist das nicht Denkmal genug?“ Am Nachmittag unternahm der Bildhauer einen Abstecher in die Stadtbibliothek und kam gegen Abend mit einem Handköfferchen voll Bücher zurück.
    „Alle von ihm?“ staunte die Freundin.
    „Ich hätt’s nicht für möglich gehalten“, gestand der Bildhauer ein. Auf gut Glück griff er ein Buch aus dem Koffer, blies den Staub fort, zündete sich ein Pfeifchen an und las. Zuerst gelangweilt, dann mäßig interessiert, später neugierig, am nächsten Tag gepackt, am übernächsten gefesselt.
    Jeden Abend, wenn das Mädchen das Atelier betrat, entdeckte es winzige Zettel, die der Bildhauer mit Reißnägeln an die Wand gezweckt hatte. Und diese Blättchen bargen seltsame Notizen:    
    „100.000 Taler Schulden.“
    „Das ,von‘ vor seinem Namen war ihm keinen Pfifferling wert.“
    „...eine Tochter, Philippine...“
    „Bekanntschaft mit dem Weimarer Geheimen Rat und mit dem Langen aus Jena.“
    „Setzte den Hohlköpfen und Hofschranzen tüchtig zu!“ Schließlich bemerkte die Freundin auf einem feinweißen Papier, dreimal so groß wie die übrigen Blätter, die sorgsam gesetzten Worte: „Er hat so kluge und witzige Bücher geschrieben, daß einem davon ganz schwindlig werden kann. Wer aber kennt sie schon? Die Bibliotheksstempel beweisen, nicht eines wurde in den letzten Jahren auch nur einmal ausgeliehen. In der Buchhandlung an der Ecke ist nichts von ihm zu haben. Freunde, die ich fragte, nannten bestenfalls einen Titel. Sein Name ist in vieler Munde, seine Schriften sind vergessen.“ Dahinter stand ein Bleistiftausrufezeichen neben einem roten Filzstiftfragezeichen.
    „Du solltest es nicht für dich behalten“, riet die Bildhauerfreundin, und sie pustete ihm liebevoll eine graue Haarsträhne aus der Stirn.
    „Ja“, sagte der Bildhauer, setzte sich auf den ausgelesenen Bücherstapel und musterte kampfeslustig seine Zettelsammlung, „er wird sein Denkmal haben!“
    Zunächst entwarf er unzählige Skizzen, die das Standbild von allen Seiten und in allen Einzelheiten ansehbar werden ließen. An diesen Tagen trug er auf seinen Nachmittagsspaziergängen stets einen halben Sack Knüllpapier zur Altstoffsammelstelle.
    Nun formte er verschiedene Gipsdichter, die die Haltung des großen Mannes vorführen sollten. Wenngleich die meisten von ihnen kaum kniehoch waren, rieb sich der Gipshändler doch zufrieden die Hände.
    Anschließend modellierte der Bildhauer ein lebensgroßes Dichterdenkmal aus Ton. Dabei verbrauchte er neben Drahtgeflecht und Ton etwa zwei Kilogramm Pfeifentabak und fünfundfünfzig Liter Tee. „Nur nicht zu dick auftragen“, sprach er immer wieder beschwörend vor sich hin, während er besessen den feuchten Ton knetete, hier einen winzigen Krümel anfügte, dort einen kaum sichtbaren Klecks fortnahm. „So wie ich dich kennenlernte, sollen dich die anderen sehen. Und ein Stück von mir muß auch hinein.“ Als das Modell fertig war, wurde nach seinem Vorbild eine Form gefertigt, in dieser Form sollte das Denkmal gegossen werden, ein bronzener Dichter.
    In jenen Tagen, als die
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