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Die Glasprobe und andere zerbrechliche Geschichten

Titel: Die Glasprobe und andere zerbrechliche Geschichten
Autoren: Reinhard Griebner
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mein Freund, da wären wir“, sagte der Bildhauer, während er sich mit dem Ärmel seiner Windjacke den Schweiß aus dem Gesicht rieb, die unentbehrliche Tabakspfeife anzündete und die Seile und Keile lockerte.
    „Das ist unmöglich, da irrt Er gewiß“, sprach der Dichter, eifrig darum bemüht, seine empfindliche Nase vor den aufsteigenden Rauchschwaden in Sicherheit zu bringen. Mißmutig zog er die Augenbrauen in die Höhe, er hatte eine beunruhigende Entdeckung gemacht. „Soweit ich erkennen

    kann, ist nirgends ein passender Sockel für mich vorbereitet. Weder aus Granit noch aus Marmor.“
    „Ja, ja, das ist richtig“, entgegnete der Bildhauer flüchtig und schimpfte auf einen hartnäckigen Doppelknoten, der seinem Taschenmesser nicht nachgeben wollte.
    „Was denn?“ stammelte der bronzene Dichter mit einer Stimme, die ganz metallen war. „Ein Platz ohne Sockel? Die mehrsten meiner Bekannten genießen einen Sockelrang, so hält man es seit vielen hundert Jahren!“
    „Eben“, sagte der Bildhauer ungerührt.
    Endlich hatte er den widerspenstigen Knoten überwältigt. Nun klappte er das Taschenmesser zu, legte geschwind die Seile zusammen und die Keile beiseite. Mit ungestümer Entschlossenheit, die ihm für Sekunden übermenschliche Kräfte verlieh, wuchtete er das Dichterdenkmal von der Karre und stellte es keuchend auf dem Marktplatz ab.
    „Er kann mich doch nicht einfach auf die Straße setzen“, barmte der bronzene Dichter. „Das gehört sich nicht. Ich nenne Ihn einen rohen Klotz! Einen Flegel! Er sollte gelegentlich einmal in meinem meistgelesenen Buch blättern.“'
    „Meistgelesen! Wenn du wüßtest“, flüsterte der Bildhauer und dachte: Lang, lang ist’s her.
    Als der bronzene Dichter spürte, daß er mit seinem Geschimpf nichts ausrichten konnte,verlegte er sich aufs Bitten.
    Vergeblich.
    „Nimm’s mir nicht krumm“, sagte der Bildhauer und wendete seine Handkarre, wobei er noch immer sorgsam darauf bedacht war, jedes Geräusch zu vermeiden. „Ich werde dich nun verlassen. Meine Leute sind sockellose Denkmäler auch nicht gewohnt. Du sollst eine Überraschung sein! - Hab Vertrauen! Was immer auch geschehen mag, es geschieht in deinem Interesse.“
    „O Götter, nun verspottet er mich auch noch!“ rief der Denkmaldichter und rang die Hände.
    „Wir sehen uns nach Sonnenuntergang, du kannst mir dann ja berichten!“ Und noch bevor der bronzene Dichter weiteren Widerspruch anmelden konnte, war der Bildhauer verschwunden.
    Nun stand der bronzene Dichter auf dem nächtlichen Markt der mittelgroßen Stadt und war so ungehalten, daß er am liebsten im Erdboden versunken wäre. Doch konnte er fortan nicht mehr reden und war auch nicht zur kleinsten Bewegung fähig. Diese Eigenschaften nämlich stehen einem Denkmal nur zu, wenn es mit seinem Schöpfer allein ist. Bis zum abendlichen Wiedersehen mit dem Bildhauer war der Denkmaldichter dazu verurteilt, alles anzusehen, anzuhören und zu erdulden, was dieser Tag auch bringen mochte. Derart in seiner Persönlichkeit beschnitten, zog er es vor, die verbleibenden Stunden bis zum Morgengrauen mit einem kraftspendenden Schläfchen zu überbrücken.
    Geweckt wurde der bronzene Dichter durch ein ohrenbetäubendes Gepolter. Der Stand der Sonne verriet, daß es die Zeit zwischen Frühstück und Werktagsbeginn war. Vor seinen Füßen erblickte er einen Handwagen, der über und über mit Pfannen, Tiegeln und Töpfen beladen war, sowie eine Schubkarre, in der ihr Besitzer eine Leiter, Farbkübel, Pinsel und andere Malerutensilien durch den Morgen transportierte. Handwagen und Schubkarre standen ineinander verhakelt, grüne Farbe war auf das Pflaster geschwappt, vom Wagen waren Tiegel und Töpfe in die grüne Lache gefallen.
    Die Besitzer der Gefährte stürzten aufeinander zu, drohten einander mit den Fäusten und fauchten sich wütend an. Verwirrt lauschte der bronzene Dichter ihrem Gezänk.
    „Ich hatte Vorschub!“ rief der Schubkarrenmann.
    „Daß ich nicht lache! Der Verkehrsposten hat mir den Vorzug gewährt“, entgegnete der Handwagenbesitzer und wies mit dem Finger in die Richtung des Dichters.
    Dieser versuchte zu erraten, was die streitenden Männer wohl mit dem fremden Wort Verkehrsposten meinten und wem der Fingerzeig gelten sollte. Da lachte der Schubkarrenmann lauthals los. „Von wegen Verkehrsposten, das ist eine Schaufensterpuppe!“
    „Dieses ist ein Denkmal“, mischte sich nun ein dritter in das Gespräch. „Es wurde vom
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