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Die Glasprobe und andere zerbrechliche Geschichten

Titel: Die Glasprobe und andere zerbrechliche Geschichten
Autoren: Reinhard Griebner
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Gießerei ihre Vorbereitungen traf, war der Bildhauer schrecklich unruhig. Er aß wenig, schlief kaum, pendelte täglich zwischen Werkstatt und Atelier her und hin. Unablässig bedrängten ihn quälende Gedanken: Wird der Guß meine Hoffnungen erfüllen? Oder hat sich vielleicht ein Fehler eingeschlichen, der im letzten Moment alles verdirbt?
    Endlich ward die Figur gegossen.
    Unter den gefühlvollen Hammerschlägen des Meisters zerbrach die Form; Arme, Beine, Rumpf und Kopf des Denkmals kamen zum Vorschein. Geschwind entfernte der Meister Staub und Ruß und verkündete stolz: „Es ist geglückt!“
    Nun erst fiel die Erregung vom Bildhauer ab, sein Gesicht entspannte sich, die vor Müdigkeit geröteten Augen blinzelten den Bronzenen glücklich an.
    Die Figur zeigte den zu Ehrenden als schmalen, feingliedrigen Mann in mittleren Jahren, aufrecht stehend, ein gewaltiges Bündel Schreibpapier unter dem rechten Arm. Des Dichters Linke deutete eine Bewegung an, als hätte er soeben eine Tür hinter sich zugeschlagen. Seine Augen schauten herausfordernd in die Welt. Um die Mundwinkel trug er ein rebellisches Lächeln.
    „Schade“, sagte der Meister, als er den Bronzedichter drei Tage später ins Atelier brachte, ließ sich den Empfang auf dem Lieferschein quittieren und klopfte dem Bildhauer anerkennend auf die Schulter. „Da hast du nun soviel Mühe auf die Feinheiten verwandt! Jedes Stirnfältchen ist im Sonnenlicht erkennbar. Man könnte gar meinen, auf seinen Schuhen Staub zu entdecken. Hoch oben auf dem Sockel wird davon nichts zu sehen sein. Schade um die Arbeit!“
    „Noch ist nicht aller Nächte Morgen“, sagte der Bildhauer und schmunzelte. „Alles fügt sich bestens in meinen Plan.“ Als er mit seinem Standbild allein war, trank er eine Tasse Pulverkaffee, brannte sich das Pfeifchen an und streichelte, nachdem er in größter Ruhe jeden Quadratzentimeter begutachtet hatte, mit einem Ledertuch die bronzene Haut.
    „Alles aus einem Guß!“
    „Nun, so ganz kann ich Sein Entzücken nicht teilen“, ließ sich der bronzene Dichter vernehmen, wobei er sich neugierig im Atelierspiegel besah und, als ein Rauchkringel seine Nase erreichte, gekünstelt hüstelte. „Er hält es wohl nicht sonderlich mit dem Respekt vor einem Poeten? Wie schief die Nase im Antlitz ruht!“
    „Der Vorwurf trifft nicht mich“, entgegnete der Bildhauer gelassen, „sie war dir nun einmal nicht gerade gewachsen.“ „Und die ausgetretenen Schuhe!“
    „Warst du nicht zeitlebens ein begeisterter Wandersmann?“
    „Und dieses schwere Papier unter meinem Arm, was soll mir das?“
    „Nannte man dich nicht einen...Vielschreiber?“
    „Ich habe zuviel geschrieben, um immer gut zu schreiben“, räumte der bronzene Dichter ein. „Was ich damit verdient habe, davon haben Menschen gelebt, von denen ich ohne diesen Zufluß meine Hand hätte abziehen müssen.“ „Dafür“, sagte der Bildhauer, „ziehe ich vor dir meinen Hut!“
    „Wenn Er fühlt, wie Er sagt, dann hätte Er mir wenigstens einen bescheidenen Lorbeerkranz zugestehen können“, erregte sich der bronzene Dichter. „Was wird das Volk denken, wenn ich so nackt und karg auf meinem Sockel stehe?“
    Mit der kürzeren Klinge seines Taschenmessers kratzte der Bildhauer Tabakreste aus seiner Pfeife, ohne sich um das Gehüstel des Dichters zu kümmern. „Lorbeer? Der taugt bestenfalls für die Suppe“, erklärte er, spuckte in die Hände, lud die Bronzefigur mit einem Flaschenzug auf eine Handkarre, sicherte sie mit festen Seilen und hölzernen Keilen gegen Herabstürzen und schob den bronzenen Dichter mit sanfter Gewalt aus seinem Atelier.
    Gekränkt kniff dieser die Lippen zusammen. Insgeheim grollte er heftig, daß der Bildhauer seine Widerrede in einem solch rüden Tonfall abwehrte. Auch gegen die klapprige Transportkarre, auf der er die Reise antreten mußte, wollte er sich verwahren. Doch als er zu einer diesbezüglichen Beschwerde anhob, legte der Bildhauer seinen linken Zeigefinger senkrecht vor den Mund und sagte: „Pscht!“
    „Wozu die Heimlichtuerei?“ fragte der bronzene Dichter mißtrauisch.
    Und wieder: „Pscht!“
    Was blieb dem Dichter übrig, als still und geduldig auf der Karre zu verharren und sich in sein ungewisses Schicksal zu fügen?
    Nachdem der Bildhauer das Denkmal etwa zwei Stunden lang in stockfinsterer Nacht durch winzige Gassen und verwinkelte Nebenstraßen transportiert hatte, erreichte er den spärlich erleuchteten Marktplatz.
    „So,
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