Die Gilden von Morenia 05 - Die Meisterschaft der Glasmalerin

Fenster auf und konnte nur knapp einen Warnruf hinunterschlucken. Nein. Das war eine andere Zeit gewesen. Das war eine andere Bedrohung gewesen. Das war eine andere Prüfung gewesen, die sie durchlaufen musste, bei der sie versagt hatte, vollkommen unwissend. Hal wiederholte: »Was behauptet Ihr?«
    Dartulamino tat drei beherzte Schritte und stieg auf das Podest. Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf, die durch den Helm auf seinen Kopf noch beeindruckender war. Hal wirkte sehr jung, als wäre er ein Kind, das Krieg spielt.
    Mair wand sich neben Rani wie eine Besessene, zog ihr Seidentuch durch die Finger, zerrte an dem Stoff, als könnte sie ihn verschwinden lassen. Rani wollte die Hand nach ihr ausstrecken, sie an sich ziehen, sie vor dem Mann beschützen, von dem sie wussten, dass er ein Mörder war.
    Hals Blick zuckte zu der Unberührbaren-Frau, und dann zu Farsobalinti mit seinem versteinerten Gesicht. Bevor Hal sprechen konnte, brüllte Dartulamino: »Bei Jair, Ihr könnt mit dem Blut an Euren Händen keine Unschuld beanspruchen!«
    Bei Jair. Dartulamino machte dies also zu einer Angelegenheit der Gefolgschaft.
    Rani spürte, trotz Mairs ersticktem Schrei, wie sie selbst sich entspannte. Sie hatte nicht erkannt, wie schwer es war, gegen lebenslange Lehren anzukämpfen. Sie hatte nicht geglaubt, wie hart es sein würde, sich gegen den höchsten Priester im Land zu stellen, gegen den Anführer der Kirche, die sie seit der Kindheit genährt hatte.
    Aber Dartulamino stand nicht als Symbol dieser Kirche auf dem Podest. Gewiss trug er ihren Staat, in seinen edlen, grünen Gewändern, in seinem Obergewand aus Gaze. Aber er war kein Priester, nicht heute. Er war ein Verschwörer. Er war ein Bote der Gefolgschaft des Jair. Er war ein Anführer der Geheimorganisation, welche die ganze Welt regieren wollte, das Königreich Morenia übernehmen wollte, und auch Brianta und Liantine und Amanthia und all die fernen Länder, die sie erreichen könnte.
    Während Rani Mair eine Hand auf die Schulter legte, beobachtete sie gleichzeitig, wie Hal dieselbe Unterscheidung traf. Sie spürte die Gewissheit, die sich über ihn legte, als er Dartulaminos Schwur annahm. Natürlich war die Gefolgschaft den meisten verborgen, die in der Kathedrale standen. Jene Soldaten würden die versteckte Bedeutung hinter den Worten des Verräter-Priesters nicht erkennen. Selbst Pater Siritalanu, selbst Puladarati und Davin war das Ausmaß des Verrats unbekannt.
    Rani schaute zu den morenianischen und briantanischen Rängen der Soldaten und erkannte, dass Hal rasch handeln musste. Seine Krieger gerieten in Verwirrung. Sie waren bei Pater Siritalanus Predigt aufgeregt gewesen. Sie hatten ihre Kraft gesammelt, um sich den Angreifern entgegenzustellen, den Schiffen, die den Hafen blockierten, den Kräften, welche die Stadtmauern belagerten. Nun stellten sie die Richtigkeit ihres Kampfes jedoch in Frage.
    Und Rani fragte sich, während sie zu den zerbrochenen Türen der Kathedrale blickte, ob die Soldaten nicht klug daran täten zu verzagen. Eine riesige Rauchwolke stieg von den Stadtmauern auf. Seltsam, dachte Rani nüchtern. Ich habe nie bemerkt, dass die Tore von diesen Kathedralentüren eingerahmt wurden. Ich habe nie gedacht, dass die Tausend Götter über alles Kommen und Gehen des schönen Moren wachten. Ich habe nie erkannt, dass es sie so sehr kümmerte.
    Aber die Tore wurden in der Tat vom Eingang eingerahmt, oder das, was von den Toren übrig war. Während Rani hinausblickte, fragte sie sich, was die Angreifer getan hatten, um solche Rauchwolken zu bewirken, wie es ihnen gelungen war, ein solch unbestreitbares Zeichen zu setzen.
    Sie warf einen raschen Blick zu Davin, um zu sehen, ob der alte Mann begriff, was die Briantaner getan hatten, wie sie ihre Kriegsmaschinerie eingesetzt hatten. Der uralte Berater nickte gemächlich, als hätte er irgendein Geheimnis erfasst, eine geheimnisvolle Art der Kriegsführung, die selbst er in Jahrzehnten voll militärischer Überlegungen nicht bedacht hatte.
    Aber was machte das schon? Was machte es, wenn die Angreifer irgendeine briantanische List eingesetzt oder einfach einen förderlichen Schuss ruchlosen Glücks hatten? Die Stadttore brannten.
    Und wenn die Tore brannten, würden die Blockadeschiffe im Hafen wissen, dass das Ende nahe war. Die Liantiner würden mit ihren Booten anlanden und die briantanischen Kräfte unterstützen. Sie würden ihre Schiffe in den Hafen fahren, bis zu den Docks