Die Gilden von Morenia 05 - Die Meisterschaft der Glasmalerin

entworfen. Sie hatte sie aus selbst hergestellten Materialien gefertigt, mit Werkzeugen, die sie ihren eigenen Bedürfnissen und Wünschen angepasst hatte. Sie hatte jede Naht umwickelt, jede Verbindung gelötet.
    Ihre Finger waren ruhig, als sie die Kugel hervornahm. Sie hob sie über ihren Kopf, während sie wieder vor ihrem König auf die Knie sank. Sie hörte die Menge hinter sich flüstern, hörte ehrfurchtsvolle Regung, als sie die Kompliziertheit ihrer Arbeit erkannte.
    Sie hatte ihr Herz in die Glasmalerkugel gegeben, hatte ihr ganzes Wissen nutzbar gemacht, ihr ganzes Können. Sie hatte Szenen auf die Glasplatten gemalt, zarte Zeichnungen, die die Geschichte ihrer Gilde einfingen. Sie hatte die Kathedrale neu erschaffen, mit ihren phantastischen Fenstern, die nun zerschmettert und für immer fort waren. Sie hatte das Gildehaus mit seinen robusten Mauern gezeichnet, das sie einst gekannt hatte. Sie hatte den Zusammenbruch jenes schönen Hauses gezeigt, die Verwüstung der Gilde. Und sie hatte eine Handprothese skizziert, ein mechanisches Werkzeug, das von den Glasmalern benutzt wurde, die vor so vielen Jahren verstümmelt worden waren.
    Die oberen Paneele der Kugel waren unverziert, als könnte Rani nicht erahnen, was die Zukunft bringen würde, zu was ihre Gilde werden würde. In Erinnerung an die Kugel, die sie an König Hamids Hof gesehen hatte, das visuelle Symbol seiner vereinenden Macht über alle seine Wahlmänner und Landbesitzer, hatte sie den oberen Teil ihres Werkes schlicht gehalten. Sie hatte in den reinsten Farben geschwelgt, die sie gestalten konnte: Kobaltblau und Karmesinrot, Topasfarbe und Smaragdfarbe sowie ein einzelnes Paneel klaren, ungefärbten Glases.
    Die Glasmalerkugel. Das Symbol ihrer Gilde, das diejenige ersetzte, die zerschmettert worden war, als Rani ihre Gefährten in Tod und Zerstörung geführt hatte. Ein König ließ eine Kugel zerstören. Nun, wenn alle Götter dazu bereit waren, würde ein anderer König einen Ersatz akzeptieren, würde die Gilde wieder offiziell anerkennen.
    Sie beobachtete, wie Hal ihr Werk betrachtete. Sie beobachtete, wie er die Geschichte ihrer Vergangenheit, ihrer gemeinsamen Vergangenheit ermaß. Sie erkannte, dass er die ungefärbten Platten im oberen Teil der Kugel verstand, das unbezeichnete Glas, auf das zukünftige Generationen von Lehrlingen ihre Handflächen legen würden, ihre Schwüre leisten würden, das Gildehaus zu erhalten und zu unterstützen.
    Er nickte einmal, und dann legte er seine Hände auf die Kugel. »Wir sehen die Kugel, die du uns heute bringst, und wir erkennen sie als Meisterwerk an. Wir erklären, dass die Glasmalergilde in unseren Ländern, in Morenia und Amanthia sowie in allen Königreichen, die uns Freund und Verbündeter nennen, neu bestätigt ist. Wir erkennen dich, Ranita Glasmalerin, als Meisterin deiner Gilde an, tatsächlich als Gildemeisterin dein restliches Leben lang. Wir erwarten, dass du alle deine Gildeleute – Lehrling, Geselle und Meister – durch die Macht dieser Kugel bindest, durch das Auflegen der Hände bindest. Wir bitten dich, dich unseres Segens und unserer Akzeptanz deiner Kugel zu erinnern und alle Mitglieder der Glasmalergilde von diesem Tage an unmittelbar auf uns, auf das Haus ben-Jair, einzuschwören.«
    Rani verdrängte blinzelnd jähe Tränen, überrascht von der Kraft der königlichen Anerkennung, von Hals Absicht, die Glasmaler unter seinen persönlichen Schutz zu stellen. »Euer Majestät«, zwang sie sich zu sagen, »Ihr erweist uns zu große Ehre.«
    »Wir erweisen dir die Ehre, die du verdienst.« Dann trat er vor und half ihr hoch, führte sie zum Altar und dem speziell gefertigten Gestell, das die Kugel schützen würde, während das Meisterstück gleichzeitig der versammelten Menge präsentiert wurde.
    Erst als Rani ihr Werk zu ihrer Zufriedenheit eingesetzt hatte, wandte sich Hal wieder der Menge zu. »Seht!«, verkündete er. »Seht die Glasmalerkugel! Sollen alle, die heute anwesend sind, den Namen der Glasmaler segnen. Sollen alle, die dieses Meisterstück ihrer Kunst betrachten, sich freuen, dass die Glasmalergilde nach Morenia zurückgekehrt ist!«
    Die Menge brach in Jubelrufe aus, die von den Steinmetzarbeiten der Kathedrale mit einer Macht widerhallten, welche die Fenster hätte in Gefahr bringen können, wenn sie noch vorhanden gewesen wären. Hal lächelte breit und ungezwungen und nutzte den ausgedehnten Jubel, um Rani zu sich umzuwenden.
    »Du kannst Davin heute