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Die Gilde der Diebe

Titel: Die Gilde der Diebe
Autoren: Tom Becker
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Fassung zu bringen als die Aussicht auf gewaltsame Rache. Er stapfte mit wachsamem Blick die Hauptstraße entlang und funkelte jeden finster an, der dumm genug war, ihm in die Augen zu sehen.
    »Hier ist was faul, Junge«, murmelte er durch seine gefletschten Zähne. »Wir sind hier in Darkside. Man hintergeht die Leute nicht einfach so und kommt damit durch. Die Menschen hier vergeben nicht und vergessen nichts.«
    Jonathan wusste nicht, was er davon halten sollte. Obwohl er erleichtert war, dass sie sich nicht mehr in unmittelbarer Lebensgefahr zu befinden schienen, so war er doch enttäuscht, dass die Suche nach seiner Mutterwieder in einer Sackgasse geendet hatte. Seine Begegnung mit Lucien hatte ihn in dem Glauben bestärkt, dass Theresa Starling noch am Leben war und sich irgendwo in Darkside aufhielt, aber es schien so, als sei der Ripper die einzige Person, die vielleicht wusste, wo sie sich befand. Mit seinem Verschwinden verlor sich auch die Spur zu Theresa.
    Schließlich war es Carnegie gewesen, der ihn gezwungen hatte, sich der Realität zu stellen. Er hatte den Jungen in den Kühlraum von Cols Metzgerei geschleppt, wo er sich über ein Stück Rindfleisch hermachte, während Jonathan, in einem aussichtslosen Versuch, sich warm zu halten, von einem Fuß auf den anderen trat. Als die Bestie in ihm gesättigt war, wischte Carnegie sich mit dem Hemdärmel einige Knorpelreste von der Wange und sah Jonathan von der Seite an.
    »Hör mal, Junge«, sagte er schließlich. »Ich habe über einiges nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass es für dich an der Zeit ist, nach Lightside zurückzukehren.«
    »Was? Warum?«
    »Hier gibt es nichts für dich zu tun. Wir haben die einzige Spur zu Theresa verloren. Wir können nichts machen, wenn wir Lucien nicht finden.«
    »Uns fällt schon noch was ein!«, protestierte Jonathan. »Es muss uns was einfallen! Und bis dahin kann ich dir bei deinen Fällen helfen. Ich mache mich doch bisher ganz gut, oder?«
    »Du machst dich gut. Aber ich brauche keinen Partner. Ich habe mich nur bereit erklärt, mich so lange umdich zu kümmern, wie Alain krank ist, aber jetzt geht es ihm besser.« Carnegies Augen verengten sich. »Du bist hier nicht im Urlaub und ich bin nicht dein Onkel, Junge.«
    »Das ist kein Urlaub für mich! Ich bin Halbdarksider, schon vergessen?«
    »Du bist aber auch Halblightsider, und genau da gehörst du jetzt hin. Du hast deinen Vater schon zu lange nicht gesehen. Du musst mehr Zeit mit ihm verbringen. Ich werde hier weiter rumschnüffeln. Sollte ich irgendetwas über Lucien oder deine Mutter in Erfahrung bringen, dann komme ich und hol dich. Dann legen wir wieder los. Aber du wartest, bis ich dich hole. Abgemacht?«
    Jonathan verbrachte den Rest des Tages damit, zu versuchen, den Wermenschen umzustimmen und mit ihm zu streiten, aber er erreichte nur, dessen Stimmung zu verschlechtern. Schließlich verlor Carnegie die Fassung und schrie Jonathan an, den Mund zu halten. An diesem Abend trennten sich die beiden Freunde ohne ein einziges Wort an einem Übergang, der nach London führte.

    Nun war er also zurück in Lightside und versuchte, sich wieder an Fernseher, Computer, Handys und all den anderen technischen Kram zu gewöhnen, der ihm vor langer Zeit einmal wichtig gewesen war. Seine Lieblingssongs klangen ihm fremd und Filme langweiltenihn. Kein Spezialeffekt konnte es mit dem aufnehmen, was er gesehen hatte.
    Nicht alles an seinem Leben war schlecht. Es war schön, wieder bei seinem Vater zu sein. Alain Starling hatte sich beinahe vollständig von der letzten »Finsternis« erholt, einer Krankheit, die aus der Zeit stammte, als er das letzte Mal vor vielen Jahren in Darkside war. Er war nun ein anderer Mann und nicht mehr die verschlossene Gestalt, die Jonathan großgezogen hatte. Es gab immer noch Zeiten, zu denen er in Schweigen verfiel und in die Ferne starrte, aber jetzt konnte man ihn mit einer Frage oder einem albernen Witz wieder aus seiner Teilnahmslosigkeit reißen. Jonathan wusste, wie sehr sein Vater immer noch darunter litt, dass Theresa verschwunden war, aber er wirkte viel lebendiger als zuvor. Auf langen, ausgedehnten Spaziergängen durch Hampstead Heath und den Regent’s Park heckten die beiden Starling-Männer wilde Pläne aus, wie sie die Fährte wieder aufnehmen könnten, um Jonathans Mutter nach Hause zu bringen.
    Gelegentlich machte Alain ein ernstes Gesicht und drohte Jonathan, ihn im Herbst an einer neuen Schule anzumelden
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