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Die Geschichte vom neidischen Dorle

Titel: Die Geschichte vom neidischen Dorle
Autoren: Hans Günter Krack
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auch?“
    Dorle sah verstohlen an sich herunter. Sie trug einen bunten Pullover und einen dunkelblauen, ein bißchen verwaschenen Rock. Nahm sie sich nicht gegen Traude aus wie Aschenputtel neben einer Prinzessin! Ja, wenn sie ihr Weihnachtskleid angehabt hätte! Doch dessen Rosa verblaßte geradezu vor Traudes Kleid! Warum hatte sie nicht so ein Kleid mit Herzchen darauf bekommen! Dorle war zumute wie jemandem, der lachen muß, während ihm der Bauch weh tut. Aber Traude war ihre beste Freundin! Ihre einzige Freundin! „Es ist hübsch“, sagte sie leise. „Wirklich. Es gefällt mir.“ „Nicht wahr?“ Traude lachte vergnügt auf. „Alle werden es bewundern. Sieh mal, die Knöpfe sind auch wie Herzchen gemacht! Ist das nicht nett? Und der Reißverschluß!“

Es zipfelt ja!
    Dorle lächelte angestrengt zu Traudes Lobpreisungen, die kein Ende nehmen wollten. Ihr aber war eher zum Weinen zumute. Ihr hätte dieses Kleid viel besser gestanden als der pummeligen Traude. Der spannte das Neue ja jetzt schon über dem Hintern! Wie sollte das erst werden, wenn sie älter wurde?
    Nein, sie konnte es nicht mehr mit ansehen, wie Traude mit ihrem Herzchenkleid liebäugelte. Wie sie sich drehte und um den Tisch stolzierte und dabei ungeschickt an die Stühle stieß. Sie würde noch die Scheibe von Vatis Bücherschrank einschlagen! Dorle vermochte die Freude der Freundin nicht zu ertragen. Sie kämpfte gegen ein boshaftes Wort an, aber es stieg in ihr auf wie das Schlucken, wenn man Selterswasser getrunken hat. Unwiderstehlich! „Hinten zipfelt es ja!“ rief sie aus.
    Hach, wie da Traude plötzlich stehenblieb! Ihre langen Zöpfe flogen nach vorn über die Brust. „Wo denn?“ fragte sie die Freundin erschrocken. Ihre Augen wurden groß und ängstlich, als hätte Dorle behauptet: In dem Kleid ist ein Loch. „Da!“ Dorle zeigte aufs Geratewohl irgendwohin, und dabei machte sie ein so finsteres Gesicht, als hätte ihr Fräulein Fröhlich im Rechnen eine Vier gegeben.
    Traude streckte sich kerzengerade und drehte nur den Kopf, so weit sie konnte, nach hinten. Aber sie entdeckte trotzdem nicht, wo das Kleid zipfelte. „Ist gar nicht wahr“, sagte sie erleichtert. „Ich kann nichts sehen.“
    „Na, dann eben nicht. Aber zipfeln tut’s doch“, log Dorle böse.

    Traude blickte ihr ins Gesicht. Das sah vor Ärger ganz häßlich aus.
    Traude erschrak. Sie dachte daran, wie Dorle sich Weihnachten bemüht hatte, möglichst viel Schlechtes an Monikas schöner Puppe Resi herauszufinden. Und jetzt fing Dorle mit ihr auch so an? Das war nicht recht von ihr! Bedrückt sagte Traude: „Bist du neidisch auf mein Kleid? Du hast doch Weihnachten auch ein neues ..."
    Dorle schüttelte heftig den Kopf. „Das olle Ding!“ schrie sie unbeherrscht und trat ans Fenster zurück. „Das olle! Ich will auch ein neues Kleid haben! So eins, wie du hast! Würde mir — würde mir viel besser stehen! Aber alle haben schönere Sachen als ich!“
    Verdattert lehnte Traude am Tisch. Tränen drängten ihr in die Augen. So eine Kränkung von ihrer besten Freundin! Die Freude über das Neue war wie weggewischt. Verschwammen nicht die bunten Farben auf ihrem Kleid schon? Zipfelte es nicht wirklich?
    Traude warf noch einen Blick auf die Schulhefte, die auf dem Tisch ausgebreitet waren; dann sagte sie niedergeschlagen: „Ich muß jetzt gehen. Schularbeiten machen..."
    „Geh nur! Zeig den anderen dein Zipfelkleid. Die können es bewundern!“ rief Dorle ihr höhnisch nach.
    Wie gehetzt lief Traude durch den Korridor und drückte die Wohnungstür hinter sich ins Schloß.

Kuchenbacken
    Für gewöhnlich weilte Frau Klöhner, Dorles Mutter, um diese Stunde eines Werktages nicht zu Hause. Sie war Kindergärtnerin, und ihr Dienst ging im wöchentlichen Wechsel entweder von früh um sechs bis nachmittags um zwei oder von elf Uhr bis zur Schließung des Kindergartens. Aber heute hatte sie ihren Haushaltstage und darum durfte Dorle auch gleich nach dem Unterricht heimkommen, während sie sonst im Schülerhort blieb.
    Jetzt stand die Mutter in der Küche und rührte an dem mit Wachstuch überzogenen Tisch Teig für einen Quarkkuchen an. Die linke Hand hielt die runde, braune Steingutschüssel fest, damit sie nicht vom Tisch rutschen konnte. Mit der rechten Hand drehte sie den hölzernen Rührlöffel durch den zähen Teig.
    Eigentlich hätte Frau Klöhner schlechter Laune sein müssen. Ihr elektrisches „Küchenwunder“ war entzweigegangen. Dorle hatte
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