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Die Geschichte vom neidischen Dorle

Titel: Die Geschichte vom neidischen Dorle
Autoren: Hans Günter Krack
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Zögernd setzte sie sich auf einen Stuhl. Nein, sie ging Traude selbstverständlich nicht entgegen. Mochte sie zu ihr kommen mit dem neuen Kleid. Was würde das schon für ein Fähnchen sein? Sicher ein ganz billiges, und lange nicht so schön wie das, was die Eltern Dorle zu Weihnachten geschenkt hatten.
    Aber an Weihnachten dachte Dorle wegen der Geschichte mit Monikas Puppe nicht gerne. Nach der Bescherung war Monika aus dem Nebenhaus zu Dorle gekommen, um die Geschenke zu bewundern. Sie brachte ihre neue Puppe mit. Die Puppe war so groß wie ein richtiges Baby. Sie hatte echte, blonde  Haare, die zu langen Zöpfen geflochten waren. Eine schöne Puppe, die alle bewunderten.
    Dorle besaß nicht so eine bewundernswerte Puppe, sondern nur ein altes Balg mit künstlichen, borstigen Haaren.
    Sie hatte angefangen, an Resi — so nannte Monika das Puppenkind — herumzumäkeln. Die Haare wären doch wohl nicht echt! Und Unterwäsche hätte Resi nicht an! Und die knolligen Knie! Schließlich war Monika weinend nach Hause gelaufen.
    Als Dorle dann im Bett gelegen hatte und sich gar nicht so wie in den vergangenen Jahren über ihre Geschenke freuen konnte, hatte sie gehört, daß die Mutti zum Vater sagte: „Seit Dorle zur Schule geht, hat sie diese dumme Angewohnheit.“ Was sollte das denn für eine dumme Angewohnheit sein? überlegte Dorle damals. Aber sie mochte die Mutter am nächsten Tag nicht danach fragen. Mutti tat nämlich, als sei am Weihnachtsabend alles in bester Ordnung gewesen.

Das neue Kleid
    Es klingelte wie toll! Dorle sprang auf. Sie riß die Stubentür auf, stürzte durch den Korridor und öffnete die Flurtür so ungestüm, als erwartete sie den Postboten mit einem großen Paket von der Großmutter.
    Vor der Tür stand Traude mit ihrem neuen Kleid. Ihr rundes, erhitztes Gesicht strahlte. „Da bin ich“, sagte sie.
    Bevor sie eintrat, drehte sie sich auf dem Fußabstreicher einmal im Kreise. Der Rock ihres Kleides flog dabei so hoch, daß Dorle ihren rosa Schlüpfer sehen konnte.
    Unwillig schüttelte Dorle den Kopf, wobei ihre dunkelbraunen, langen Haare flatterten. „Mach nur unseren Abstreicher nicht dreckig“, meinte sie verstimmt und schob die Haare zurück, die ihr in die Stirn gefallen waren. „Komm erst mal rein. Ich bin gespannt, was ihr da zusammengekauft habt.“
    Traude warf ihre blonden Zöpfe auf den Rücken und tänzelte an Dorle vorbei in die Diele. Die bissigen Bemerkungen der Freundin überhörte sie ganz. Vor dem hohen Garderobespiegel zupfte sie sich das Kleid zurecht. „Hat zwanzig Mark gekostet“, erklärte sie wichtigtuerisch, als hätte sie es aus der eigenen Tasche bezahlt.
    „Das geht ja!“ Dorle trat hinter Traude ins Wohnzimmer. Die beiden Mädchen waren fast gleichgroß, aber Traude war ein bißchen pummelig.
    „Das geht ja“, wiederholte Dorle, weil Traude heute offenbar schwerhörig war. „Meins, das ich zu Weihnachten bekommen habe, kostete dreißig Mark ..." Das war aber geschwindelt! Dorle wußte überhaupt nicht, wieviel ihre Eltern für das Kleid bezahlt hatten.
    Traude baute sich mitten im Zimmer auf wie eine Denkmalsfigur. Dorle ging um sie rundherum, um das Kleid genau zu mustern. Es war wirklich ein hübsches Kleid. Ganz hellblau, mit roten, weißen und gelben Herzchen darauf. Immer drei Herzchen zusammen. Es hatte einen weiten Faltenrock und kurze Ärmel, um die weiße Bündchen gelegt waren. Den Halsausschnitt säumte ein weißes Krägelchen. An der linken Seite des Kleides blinkte ein Reißverschluß. Der schmale Gürtel war zu einer Schleife gebunden.
    Das Kleid paßte Traude sehr gut, das mußte man zugeben, wenn es auch ein bißchen zu lang war für Dorles Geschmack. Traude stand gerade in einem Streifen Sonnenlicht, der neugierig durchs Fenster kam, um an der Modenschau teilzunehmen. Die Aprilsonne wärmte schon ganz ordentlich. Jetzt sah es aus, als würde Traude von einem Scheinwerfer beleuchtet. Sicher hatte sie diesen Platz gewählt, um recht vorteilhaft auszusehen.

Endlich fragte Traude ungeduldig: „Es ist schön, nicht wahr?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr sie sogleich fort: „Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie schwer mir die Auswahl gefallen ist. Die hatten ja Kleider da — ich kann dir sagen!

    Eins nach dem anderen habe ich anprobiert. Aber dieses hier gefiel mir doch am besten. Und die Verkäuferin meinte, ich hätte einen guten Geschmack. Das Hellblau stünde fabelhaft zu meinem blonden Haar. Findest du das
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