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Die Geschichte vom neidischen Dorle

Titel: Die Geschichte vom neidischen Dorle
Autoren: Hans Günter Krack
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Ich will das Kleid! Ich will. . .“ Sie schluchzte laut auf und rannte aus der Küche. Die Tür knallte sie hinter sich zu, daß es schepperte.

Peters neuer Roller
    In der Diele blieb Dorle einen Augenblick lauschend stehen. Ob ihr die Mutter nachkam?
    Nein — sie rumorte in der Küche weiter, als sei nichts geschehen.
    Soll ich nicht doch lieber die Schularbeiten machen? überlegte Dorle. Doch sie hätte gar keine Ruhe gehabt, sich an den Tisch zu setzen und die Rechenaufgaben zu lösen.
    Flink angelte sie ihre gelbe Windjacke vom Kleiderhaken.
    Die Jacke hatte eine spitze Kapuze, die mit buntem Schottenstoff gefüttert war.
    Nachdem Dorle die Jacke übergezogen hatte, griff sie nach ihrem Roller. Der stand in einer Ecke der Diele hinter einem gestreiften Vorhang. Leise öffnete sie die Wohnungstür. Husch — schon war sie draußen, schloß die Tür behutsam und lief die Treppe hinunter. Den Roller schleifte sie hinter sich her, daß er von Stufe zu Stufe hüpfte. Im Treppenhaus dröhnte es laut.
    Ob Traude jetzt wohl Schularbeiten macht? überlegte Dorle, als sie an Neumanns Wohnungstür vorbeikam. Sicher saß Traude am Tisch, hatte ihr neues Kleid an und rechnete an den paar Aufgaben herum. Rechnen war Traudes schwache Seite. Meistens kam sie zu Dorle, um sich helfen zu lassen. Sollte sie heute zusehen, wer ihr half! Mochte sie den ganzen Federhalterstiel zerkauen!
    Tief aufatmend blieb Dorle vor der Haustür stehen. Doch da durchfuhr sie auf einmal ein heftiger Schreck. Mutti merkte bestimmt, daß sie davongelaufen war. Nun bekam sie zum Abendessen vielleicht nichts von dem Aprikosenkompott, das von der Mittagsmahlzeit übriggeblieben war? Na, sie mußte eben heute abend ein bißchen betteln!
    Auf der Straße spielten viele Kinder. Einige trieben mit kurzen Peitschen ihre Kreisel über den Gehsteig. Andere schnipsten Murmeln in flache Mulden, die sie in den Einfassungen der Straßenbäume ausgehoben hatten. Traude war nirgends zu entdecken.
    Die Sonne schien mild. Einige Kinder trugen bereits Kniestrümpfe, aber ihre Knie waren noch ganz weiß.
    An der Ecke, vor dem Gemüsegeschäft, standen mehrere Mädel und Jungen zusammen. Dorle fuhr mit ihrem Roller hin. Den Roller hatte sie im vergangenen Jahr bekommen. Er sah noch sehr ordentlich aus. Nur der Richtungszeiger ging nicht mehr. Eine Schraube war locker, und Vati vergaß immer, sie festzuziehen.

    Dorle stoppte vor der Versammlung, daß ihr Roller schleuderte. Monika stand unter den Kindern. Sie hatte ihre Puppe Resi im Arm. Heino Ruppig führte das große Wort. Er erzählte von einem Rollerrennen, wobei er mit den Beinen schlenkerte, als habe er am vergangenen Sonntag sämtliche Runden gewonnen.
    Gisela, die schon in die dritte Klasse ging, hielt ihre kleine Schwester an beiden Händen. Die übrigen Kinder gingen noch nicht zur Schule oder erst in die erste Klasse. Alle bildeten einen Kreis um Peter Nolte und seinen Roller. Peter war erst sechs Jahre alt. Im Herbst sollte er in die Schule kommen. „Ach, Dorle ist hier!“ verkündete Heino und grinste frech. Er hatte wulstige Lippen und eine lustige, zum Himmel aufstrebende Nase. Dorle konnte Heino nicht leiden. Damals, als sie ihn wegen des neuen Federkastens scheel angesehen hatte, wurde sie von ihm „Neidhammel“ gerufen. Zum Glück hatte es niemand gehört. Doch sie konnte Heino die Schmähung nicht vergessen. Heino tat allerdings immer so, als sei nichts zwischen ihnen vorgefallen.
    Auch jetzt fuhr er ganz vernünftig fort: „Guck dir mal Peters neuen Roller an, Dorle! Der ist Klasse! Da ist deiner eine Eierkiste dagegen. Menschenskinder! Und sieh dir die Gummireifen an! Der reinste Motorroller. Und wie man auf dem fahren kann! Du brauchst bloß mit dem Fuß auf den Erdboden zu tippen, und schon saust du davon . . .“
    „Mindestens vierzig Sachen“, bemerkte ein kleinerer Junge fachmännisch. Also war Heino bereits auf Peters Roller gefahren. Und was erzählte er da? Dorle sah selbst, daß es ein wunderbarer Roller war. Mit glänzenden Schutzblechen und dicken Gummireifen, in die Luft gepumpt werden konnte. Auf dem Schutzblech des Vorderrades war eine Lampe montiert, die von einem kleinen Dynamo elektrischen Strom erhielt. An Dorles Roller gab es weder blitzende Schutzbleche noch eine Lampe. Er war auch nur mit ganz gewöhnlichen schmalen Gummireifen ausgestattet.
    Verstohlen blickte Dorle sich um. An der Hauswand lehnte Heino Ruppigs Trittroller. Der sah noch ärmlicher aus als ihr eigener.
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